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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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anzulegen.
    Trotzdem wäre ihr nach Musik der Ramones gewesen oder etwas Ähnlichem. Irgendetwas, was den ständig faden Geschmack von unsagbaren Sorgen fortwischte – zumindest für einige Augenblicke.
    Henry McLane war fort. Und egal, was die Leute, die ihn verschleppt hatten, von ihr wollten, es konnte nichts Gutes sein.
    Nein. Entschieden nicht.
    Diese grässlichen Mistkerle.
    Sie seufzte und sah hoch, die Straße entlang. Über der Prager Altstadt hielten dicke Türme Wacht. Teyn-Kirche, Pulverturm, Karlsbrücke. Und über diesen wiederum lag majestätisch der Hradschin, die große Burg.
    Geneva wandte im Gehen den Kopf und lächelte Lara aufmunternd an. Sie schien alles irgendwie mit der richtigen Mischung aus tödlichem Ernst und heiterer Gelassenheit zu nehmen. Lara wünschte sich, sie könnte doch nur ein wenig von dieser gelassenen Seite abbekommen. Es ging um ihren Großvater, ihren einzigen Verwandten, den sie jemals kennen- und lieben gelernt hatte. Diese Welt war ein Schlund. Einmal aufgetan, sog sie alles in sich hinein und zermalmte es zwischen Bollwerken aus ohnmächtiger Wut und Verzweiflung und nannte das Ganze obendrein auch noch Leben. Das war nicht fair. Sie war doch noch so jung.
    Geneva stieß sie an.
    Â»Das ist die Josefstadt«, raunte sie Lara zu.
    Lara blickte auf. Tatsächlich hatte sich ihre Umgebung unmerklich verändert. Die Steine der Häuser wirkten plötzlich schattiger. Überhaupt schien es hier ein wenig ruhiger zu sein als im Rest der Stadt. Alles wirkte auf eine seltsame Art und Weise ineinander verwoben. Häuser, Straßen, Mauern, Bäume. Sie formten seltsame Knoten und Gebilde.
    Lara dachte darüber nach, dass es hier im Sommer – wenn Laub an den Bäumen hing – bestimmt das ein oder andere lauschige Plätzchen geben musste. Aber sie verwarf den Gedanken, denn auch ihr fiel es nicht schwer, das leise, melancholische Flüstern zwischen den Steinen zu hören. So, als würde dieser Teil der Stadt trauern. Seit uralter Zeit.
    Â»Warum ist dieser Ort so traurig?«
    Lara konnte diese Frage nicht zurückhalten, doch sie stellte sie leise, und so bekam zumindest Mr Cooper nichts davon mit – oder er ließ es sich wenigstens nicht anmerken.
    Â»Dies ist das jüdische Viertel von Prag«, erklärte Geneva. »An diesem Ort stehen noch viele uralte Gebäude, Mauern und Erinnerungen der Juden. Vielleicht mehr als sonst an einem Ort in Europa. Und die Juden sind ein von Schmerz durchsetztes Volk. Das waren sie immer schon.
    Außerdem waren sie schon immer sehr begabt in handwerklichen Dingen. So ist es kein Wunder, dass ihre Werke zeit ihres Bestehens von ihren traurigen Geschichten künden.«
    Â»Es fühlt sich ein wenig an wie auf einem Friedhof«, überlegte Lara laut.
    Dann verbesserte sie sich.
    Â»Nein, nicht ganz.«
    Sie folgten einander im Gänsemarsch. Vorneweg Tom, mit hochgeschlagenem Kragen, die Hände in den Taschen. Er führte sie zu einem höheren Gebäude, ganz in Weiß mit kleinen Türmchen und spitzen Fenstern, umrandet von einem schwarzen Eisenzaun.
    Es sah geschlossen aus, aber Tom steckte unbeirrt einen seiner Schlüssel in ein Gatter im Eisenzaun, schloss auf und ging hindurch.
    Als Lara das Gatter hinter sich wieder zuzog, hatte Tom bereits an der Holzpforte geklopft, woraufhin nach einer kurzen Zeit des Wartens ein hagerer Mann mit weißem Bart und einer Kippa öffnete.
    Unglaube zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, als Tom eine Verbeugung andeutete und »Schalom« sagte.
    Â»Tom?«
    Der Mann im Türrahmen zögerte. Wirkte unsicher, als ob er nicht recht wüsste, ob er seinen Augen trauen konnte. Dann riss er sich plötzlich zusammen, tat einen wankenden Schritt auf Tom zu und umarmte ihn. Tom wirkte steif, als sei ihm die Umarmung unangenehm.
    Nach einigen Momenten lösten sie sich voneinander, und der Mann mit der Kippa musterte Tom von oben bis unten.
    Â»Was, um alles in der Welt, tust du hier?«, wollte er wissen.
    Â»Schicksal«, meinte Tom.
    Â»Na ja, dein freches Mundwerk hat offenbar nicht nachgelassen. Komm rein! Kommt alle rein!«
    Der Mann winkte sie freundlich durch die Tür.
    So betraten sie die hellen, runden Gewölbe, die einen seltsamen Spagat zwischen Kargheit und üppigem Zierwerk schafften. Ihre Schritte hallten von den Bodenfliesen wider.
    Laras Blick fiel auf die

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