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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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dorthin vermauert, und die Brücken galten im Allgemeinen als Verbotene Brücken . Verboten hatte man sie deshalb, weil niemand jemals wiedergekehrt war, der sie einst passiert hatte. Lara wusste nicht – konnte es sich aber denken –, dass die wenigen Jugendlichen in Ravinia toll von überschäumenden Hormonen und unter der Fratze von wahnwitzigen Mutproben ihre Sommernächte damit verbrachten, über die Stadtmauern zu steigen und sich auf den Brücken zu tummeln. Doch wie überall auf der Welt versucht die Jugend nun einmal möglichst cool auszusehen.
    Das Land jenseits des Flusses gehörte jedoch nur sich selbst.
    Lara ließ den Blick schweifen, während ihr der Wind durch die Haare und durch die umgelegte Decke fuhr.
    Ravinia.
    Die düstergoldene Stadt. Sie hatte von hier oben viel mit Krumau gemeinsam. Uralte Bauwerke, groß wie klein, wisperten von den Geheimnissen, welche die Stadt barg. Uraltes Wissen schien mit der Luft durch die schlanken Gassen zu wehen, wie der Duft von Orangenschalen zur Weihnachtszeit.
    Ja, auch hier feierte man Weihnachten. Jedoch ohne Weihnachtsmärkte und gehetzte Geschenkeeinkäufe. Aus Respekt voreinander. Die Juden feierten ihre Feiertage, die Muslime die ihren, und auch die Christen begingen die Festtage auf ihre eigene Art. Nebeneinander, ungestört. Beinahe so wie ein Jerusalem sein mochte, das endlich seinen Seelenfrieden gefunden hatte.
    Da gab es die große Kathedrale St. Anna Rosa am Fluss und die große Jacobs-Synagoge. Eine Moschee befand sich in einer der riesigen Villen im Adelsviertel, worüber der alteingesessene Adel zwar die Nase rümpfte, aber auf Anordnung des Stadtrates nicht aufbegehrte. Ein Minarett gab es nicht. Man war übereingekommen, die Präsenz einer Religion nicht zu übertreiben. Dem Gebetsruf des Muezzin konnte lauschen, wer ein kleines, extra angefertigtes Minarett zu Hause stehen hatte, das den Ruf zum Gebet übertrug.
    Auch die Glocken der Kathedrale schwiegen. Ausnahmen gab es nur zu Ostern und Weihnachten.
    Unten im Hof traten drei Gestalten durch das Burgtor. Es stand immer offen. Lord Hester wurde von einer Wolke des Mysteriums umgeben, und die Wenigsten trauten sich auf die Burg. Außerdem: Was hätte man dort gewollt?
    Eine schlanke, hochgewachsene Person schritt stolz neben einem mittelgroßen Mann älteren Semesters her. Blonde lange Haare und eine grüne Locke flatterten im Wind, der durch den Hof fegte. Der Wind zerrte außerdem an dem Mantel und dem ohnehin schon zerzausten Haar der Gestalt, die, umgeben von ewiger, mysteriöser Düsternis und mit den Händen in den Taschen, vor ihnen herstapfte.
    Ein Lächeln, das irgendwo zwischen Erleichterung und Erheiterung lag, huschte über Laras Gesicht, sie drehte sich um und eilte zur Tür.
    Â»Sie sind da«, strahlte sie Lee an, der sich mitsamt seiner Decke und einer Tasse heißem Tee auf einen Korbstuhl gesetzt hatte. Zur Antwort schlürfte er einmal laut an seinem Getränk, während Lara an ihm vorbei die Treppen hinunterstürzte. Dann setzte auch er sich langsam in Bewegung.
    Als Lara aus der Tür zum Hof stürmte, hatte Lord Hester in seinem blauen Mantel, mit seinem ebenso blauen Zylinder und umkreist von einigen Raben den drei Neuankömmlingen schon die Hände geschüttelt.
    Geneva war die Erste, die Lara bemerkte. Sie ging ihr die letzten Meter entgegen und schloss sie in die Arme. Sie lachten beide vor Freude und hielten sich fest, wie verloren und gefunden. Aber das waren sie ja in einem gewissen Sinne auch.
    Erst als sie die Umarmung lösten, fiel Lara die Bandage an Genevas Kopf auf. Sie erstreckte sich über die gesamte Stirn und war mit Kompressen und Pflastern sorgfältig über ein Auge geklebt.
    Â»Was ist das?«, wollte Lara wissen. Aber Geneva winkte ab.
    Â»Halb so wild«, meinte sie nur.
    Dann trat Baltasar neben sie.
    Â»Halt!«, lachte er, als Lara sich auf ihn stürzen wollte, und nahm vorsichtig die schwarze Zigarette aus dem Mundwinkel, dann erwiderte er die Umarmung.
    Wortlos, aber vielleicht bedeutungsschwerer war die Begrüßung mit Tom. Es gab eine kurze Umarmung, aber auch etwas viel Wertvolleres: Zum ersten Mal, ja wirklich zum allerersten Mal seit Lara ihn kannte, huschte ein Lächeln über das ernste Gesicht des Schlüsselmachers mit den rabenschwarzen Haaren.
    Â»Kommt alle rein!«, lud Lord Hester die Wiedervereinten

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