Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
kein
Abendessen. Bei euch Premium-Zöglingen geht es entspannter zu. Ihr habt keine
immerhungrige Becky.«
Als ich gehen will, fasst Connor nach meinem Handgelenk.
Er drückt es nicht fest, aber doch so intensiv, dass ich seinen Griff nicht
ignorieren kann. Erschrocken atme ich tief durch. Langsam drehe ich mich zur
Seite, lasse mich zurück auf den Stuhl fallen und blicke in seine Augen. Die hellblauen
Striche scheinen eine dunkle Farbe angenommen zu haben. Dafür wirkt seine
übrige Iris nun türkisblau. Sein nebelverhangener Blick hat etwas Verlorenes,
Einsames. Dafür bin ich nicht zuständig, rede ich mir gut zu.
»Unser Gespräch muss unter uns bleiben.«
Ich nicke, hoffe, dass ich endlich gehen kann, aber
er lässt mich nicht los. Seine Hand fühlt sich warm und fest an. Er streicht
mit dem Daumen über meinen Handrücken. »Ich vertraue dir. Wirklich.«
»Ja, ich weiß. Sonst hättest du mich ja nicht
eingeweiht.«
»Soraya, falls dir irgendetwas auffällt, dann
sagst du es mir doch, oder?«
»Mir ist aber nichts aufgefallen«, lüge ich
eiskalt, mit abgewendetem Blick, und muss an meinen Sportlehrer, Finn Erikson,
und an Kill denken.
Könnte Erikson ein gesuchter Rebell sein? Zumindest
steckt er mit Kill unter einer Decke. Dessen bin ich mir sicher.
»Falls dir doch noch irgendetwas auffällt, kannst
du dich jederzeit an mich wenden«, bohrt Connor hartnäckig weiter.
Soll ich sagen, was ich weiß? Ich zögere. Nein! Ich
kann es nicht. Kill hat mich damals im Wald verschont. Er hat mich beschützt,
bis ich zurück in der sicheren Stadt war. Er hat es verdient, dass ich ihm eine
Chance gebe. Ich muss erst wissen, warum er hier ist. Sei nicht blöd, warnen mich meine Instinkte, Kill ist hier, weil er dich jagt – er spielt mit dir.
Ich starre auf Connors Hand und bin kurz davor
einzuknicken.
Wer ist gefährlicher? Der Sucher oder der Jäger?
Erikson hat im Flur zu Kill gesagt, versuche sie zu töten! Das kann ich
nicht ignorieren. Wenn ich gemeint war, bin ich in allergrößter Gefahr. Ich
blinzele, um Kills wunderschöne bernsteinfarbene Augen aus meiner Erinnerung zu
vertreiben. Dieser Blick, er macht es mir so schwer, klar zu sehen. Es hilft
alles nichts, ich muss zuerst mit ihm reden. Bei dem Gedanken an das
bevorstehende Gespräch drehen sich mir die Eingeweide um. Ich greife mir mit
der freien Hand an den schmerzenden Magen.
»Connor, wir sehen uns morgen. Ich muss jetzt
wirklich gehen. Sonst droht mir eine Strafe, weil ich zu spät komme.«
Schließlich drückt er noch einmal meine Hand und
lässt sie dann endlich los.
Erleichtert erhebe ich mich und haste zur Sektion
für die Standard-Zöglinge.
Auf dem Weg dorthin versuche ich verzweifelt
Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Connor ist ein verdammter Spitzel. Nein, er ist einer von den Guten. Er
beschützt uns vor den heimtückischen Rebellen, korrigiert mich mein anderes
Ich. Die Demoganier sind die Bösen. Hast
du das vergessen?
Erikson ist ein fieses Schwein. Er quält die
Zöglinge und er quält die Gefangenen. Braucht er dazu die Hilfe der Wolfer?
Weil sie besser im Quälen sind? Du
spinnst, sagt mir mein Verstand. Siehst
du denn nicht die Wahrheit? Erikson ist ein Demoganier. Er heuert Rebellen an.
Rebellisch. Das Wort klebt an mir wie ein
Brandmal. Sooft ich es auch wegkratze, es kommt immer wieder zum Vorschein.
Wer ist Kill? Ein Spion, der herausfinden soll,
wie dieser Bunker von innen aussieht. Und wenn er nicht einmal das ist? Wenn er
nur ein Jäger ist? Jemand, der die Gefahr liebt und es genießt, sein Opfer
einzukreisen. Was ist, wenn er nur hier ist, um zu töten?
Dann bin ich seine Beute.
Einem muss ich vertrauen. Mit einem Menschen muss ich reden, bevor ich verrückt werde. Rede mit Connor, rät mir
mein Verstand. Augenblicklich krampft sich mein Magen zusammen. Vielleicht
sollte ich das wirklich tun.
Unschlüssig eile ich durch den Gang meiner Sektion
und öffne die Tür zur Kantine. Der Geruch von Rotkohl, Pilzgulasch und Knödeln
schlägt mir entgegen.
Wieso das? Wieso gibt es heute Abend eine warme
Mahlzeit? Noch dazu eine so gute?
Alice winkt mir zu. Sie hat den Platz neben sich
freigehalten. Ich gehe hin und setze mich.
»Du bist spät. Ich habe deinen Teller bewachen
müssen.«
»Danke«, stammele ich und stochere in den Pilzen
und im Fleisch. »Was ist das?«
»Sie behaupten, es sei Greifer-Fleisch.«
Ich lasse die Gabel fallen und spüre die Säure in
meinem Magen schäumen. Fühle, wie sie
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