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Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze

Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze

Titel: Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Twin
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ich den Blick. Connor wird mich nicht
dazu bringen, dass ich mich öffentlich hinter eine regierungskritische
Minderheit stelle. Eine Handvoll Wissenschaftler hat im letzten Jahrhundert die
These von der Elimination großer Wissensbestände aufgebracht. In den Lehrmaterialien
steht jedoch ganz klar, dass es sich dabei um ein falsches Gerücht handelt. In
Wahrheit wurde lediglich Datenmüll entsorgt. Private Dateien wie Fotos, Videos
und Nachrichten längst verstorbener Menschen, die auf uralten Servern und
Computern lagerten. Geräten, die wir dringend benötigten.
    Connor schweigt und sieht Babette an. Sie saugt
die Luft scharf ein. »Wer sollte sich so viel Mühe geben, unsere Vergangenheit
zu verfälschen? Also ich stimme Soraya zu.«
    Die Tür geht auf und ein Offizier in Begleitung
von zwei Kadetten erscheint im Türrahmen. Er hält den Helm unter den Arm geklemmt
und wartet, bis wir schweigen und ihn anblicken.
    »Meine Damen und Herren, das Los ist auf Ihre
Klasse gefallen. Sie sind die Glücklichen, die an der morgendlichen Exekution
teilnehmen dürfen. Folgen Sie mir!«
    Schlagartig ist es so still im Raum, dass ich das
Ticken des Sekundenzeigers an der alten Wanduhr hören kann. Ich wünschte, wir
wären nicht die Klasse mit dem Glückslos. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass es
uns erwischt, lag nun einmal bei eins zu fünf, denn das Erntelager hat nur fünf
Schulklassen. Wir sind die Exoten unter den Zöglingen, die hier aus
erzieherischen Maßnahmen eingebuchtet sind. Die meisten Jugendlichen befinden
sich auf dem Level »Standard« und haben keine Schule. Sie müssen den ganzen Tag
arbeiten, wie die Saisonarbeiter, werden aber besser behandelt als die
Tagelöhner und die Strafgefangenen – zumindest solange sie nichts mit Frau
Kasten zu tun haben.
    Der Lehrer erhebt sich und geht um den Tisch. Seine
Kreppsohlen quietschen. Der Stoff seines grauen Jacketts raschelt.
    »Sie haben es ja gehört. Antreten in Zweierreihe
und dann Abmarsch!«
    Mir sitzt ein Kloß im Hals. Intuitiv entscheide
ich mich dafür, bei Connor zu bleiben. Es scheint mir klug, mich in der
Öffentlichkeit zusammen mit einem Sucher zu zeigen. Das rückt mich automatisch weg
vom Dunstkreis der Demoganier. Wenn ich in ein paar Monaten diese Ernte-Burg
verlasse, dann will ich frei von jeglichen Anschuldigungen des Hochverrats
sein. Nur dann habe ich eine Chance ins Gill-Corps aufgenommen zu werden und
der Ehe mit Pa:ris zu entfliehen. Und außerdem möchte ich keinen Keil zwischen
Babette und Kai treiben. Die beiden sitzen zusammen im Unterricht, sollen sie
auch gemeinsam gehen.
    Verstohlen werfe ich Connor einen Blick zu. Er
macht ein finsteres Gesicht. Ich mag es nicht, ich mag ihn nicht, wenn er diesen Gesichtsausdruck hat. Ein Schauer läuft
mir über den Rücken und rieselt über meine Arme. Schweigend rolle ich die Ärmel
herab und knöpfe die Manschetten zu. Doch das Gänsehautgefühl will nicht
weichen.
    »Weißt du, wo wir hingehen?«, frage ich
schließlich Connor, weil ich sein Schweigen und diesen finsteren Blick nicht
länger ertragen kann.
    »Aufs Dach!«, antwortet er knapp.
    »Kommt das hier öfter vor?«
    Ich erhalte keine Antwort. Wir biegen ab und
laufen bis zum Ende des Ganges. Connor hält am Fahrstuhl. Zögernd stehe ich
neben ihm. Was soll ich machen? Ich entscheide mich, der Gruppe über die Treppe
zu folgen. Doch als ich gerade loslaufen will, hält er mich am Handgelenk fest,
und die Fahrstuhltür geht auf.
    »Zweiergruppen heißt, du bleibst bei mir!«, zischt
er mich an.
    Ich schlucke und folge ihm in den Aufzug. Die Tür
schließt und wir sind allein in dem Blechkasten. Ein beklemmendes Gefühl macht
sich in meiner Brust breit. Connor legt die behandschuhte Hand auf die
Steuerkonsole. Sein Zeigefinger wandert an den Knöpfen nach oben … Drei. Vier.
Fünf … Acht. Er zögert, drückt den obersten Knopf.
    Wir fahren an. Ich spüre es am Ziehen in meinen
Eingeweiden.
    Plötzlich drückt er den Stopp-Knopf. Wir halten
zwischen der siebten und achten Etage. Er wendet den Kopf und sieht mich wieder
mit diesem verschleierten Blick an, den ich nicht deuten kann.
    »Soraya, tue mir bitte einen Gefallen.« Er macht
eine Pause, bis ich nicke.
    »Ja?!«
    »Egal, was da oben gleich passiert und egal, was
du siehst …« Er hebt eine Hand und ballt sie zur Faust. »Beiße dir meinetwegen
die Lippen blutig, aber schweige!« Das letzte Wort zischt er beschwörend.
    »Warum glaubst du …?«
    Er streckt den Arm zur Konsole

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