Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
überlege. Dann fahre ich
mit der Hand vom Boden zum Himmel. »Danke, Reh, jetzt bist du frei.« Zuletzt verbeuge
ich mich.
»Warum macht ihr das mit der Stirn dicht am Boden?«
»Die Beute kommt von dort. Wir jagen nur solche
Tiere. Der Himmel ist frei. Wir essen keine Vögel.«
»Esst ihr Menschen?«
»Nein.« Kills Augen blitzen gefährlich. Ein
tiefer, grollender Ton dringt aus seiner Kehle. Er unterdrückt das spontane
Knurren. Es macht mir Angst. Ich spüre, wie meine Härchen sich augenblicklich
auf den Armen aufrichten und meine Haut zu kribbeln beginnt. Eine Schauer jagt
über meinen Rücken. Hätte er mit »Ja« geantwortet, wenn sie doch Menschen äßen?
Seine Stimme klingt einen Ton dunkler, als er
weiterspricht. »Wir jagen und töten euch, wenn ihr in unser Revier eindringt.
Es gibt nicht wenige unter uns, die euch verspeisen würden, wenn sie nicht
befürchten müssten, sich mit eurem Fleisch zu vergiften.«
Ich räuspere mich. »Aber du … bist hier … bei mir.«
»Ja.«
»Meinetwegen?«
»Nein. Ich habe nicht damit gerechnet, dir an
diesem Ort zu begegnen. Im Gegenteil. Du bist mir am Wasserfall gefährlich nahe
gekommen, und ich dachte, hier wäre ich weit weg von dem Risiko, dir erneut
über den Weg zu laufen.«
»Wie freundlich«, zische ich.
»Was erwartest du? Ich wollte dich sofort
vergessen.«
Betroffen senke ich den Blick. Natürlich wäre es
besser, wir wären einander kein zweites Mal begegnet.
»Dein Plan hat aber nicht funktioniert«, flüstere
ich.
»Leider.«
»Irgendein bescheuerter Gott spielt mit uns.
Wahrscheinlich denkt er bei sich, sonst wäre die Welt ja auch todlangweilig.«
Kill beugt sich vor, legt eine Hand auf meine
Schulter, die andere hinter meinen Rücken. Sanft, ganz sanft schiebt er mich
zurück, bis ich vor ihm liege. Er greift meine Hände und drückt sie neben meine
Schultern.
Seine Hände liegen auf meinen. Dann schiebt er
seine Finger zwischen meine. Er beugt sich über mich als wollte er mich küssen.
Seine Nähe durchströmt mich in warmen Wellen. Mein Atem beschleunigt. Auch sein
Brustkorb hebt und senkt sich. Unter dem engen schwarzen Shirt zeichnet sich
jeder Muskel ab.
Mein Blick wandert zu seinen Augen. Sie leuchten
bronzefarben. Von irgendwoher spiegelt sich Licht in seinen großen, dunklen
Pupillen – eingefangen von seinen seidig langen Wimpern blitzt es als winziger
Funke. Das Pünktchen schimmert, als sei es ein Zuckerkristall, das im nächsten
Moment in schwarzem Malzkaffee untertaucht – und mich mitreißt.
Kill stützt sich mühelos über meinem Körper ab,
ohne mich zu berühren. In Zeitlupe rückt er näher. Er atmet tief durch. Endlich
spüre ich ihn auf mir. Es ist nicht mehr als eine sanfte Berührung – denn er
stützt sich weiterhin ab.
Seine Wange streift meine – so federleicht wie ein
Rosenblatt im Wind.
Ich seufze verlangend.
Mit einem Ruck reißt er sich von mir los.
Verwirrt blinzele ich.
Er stellt sich an die Felskante. »Genug ausgeruht.
Jetzt zeige ich dir, wie man einen Kopfsprung hier runter macht.«
Schlagartig bin ich hellwach. Ich richte mich auf
und reiße die Augen auf. Kill hebt die Arme, streckt sie über Kopf, beugt sich
vor und springt.
Ich blicke ihm hinterher. Er klatscht ins Wasser,
taucht unter und Sekunden später wieder auf.
»Jetzt du!«
»Ich kann das nicht.«
»Du musst.«
»Nein.«
»Oh doch.« Er spritzt mit der Hand durchs Wasser. »Konzentrier
dich! Wenn du es vergeigst und einen Bauchklatscher machst, tut das sehr weh.«
»Und wenn ich mich einfach fallen lasse?«
»Dann lasse ich dich den Rest des Tages da
hochklettern und Springen üben – so lange, bis du es kannst.«
Ich erinnere mich, dass nasse Kleidung das
Schwimmen ungemein erschwert. Spontan ziehe ich die Cargohose aus, knülle sie
zu einem Bündel zusammen und werfe sie mit Schwung hinüber zum Sandstrand.
»Wow, Lady. Wirf mir dein Shirt auch noch zu!«
Ich tippe an meine Stirn. »Das hättest du wohl
gerne. Junge!«
In Zeitlupe strecke ich die Arme, atme konzentriert
und rufe mir in Erinnerung, wie er es gemacht hat. Zweimal spiele ich den
Sprung in Gedanken durch …
Dann hoffe ich, dass Kill nachsichtig mit mir ist,
halte mir die Nase zu, schließe die Augen und lasse mich mit den Füßen zuerst
fallen.
Spion
I ch liege auf dem Rücken. Mein
Körper ist beinahe schwerelos – das Wasser trägt mich wie auf einer
unsichtbaren weichen Decke. Stundenlang könnte ich so durch den See
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