Raylan (German Edition)
Pervis nicht mehr da gewesen. Er ist in eins seiner Häuser am Piney Run gezogen, eine Meile oder so nördlich von Harlan. Er sagt, wenn er die Blutflecken auf seinem Teppich sehen muss, muss er immer dran denken, dass Dickie und Coover tot sind, und das kann er nicht.«
»Ich glaube, er wird seinen Frieden finden, weil er sich nie wieder Sorgen um sie machen muss«, sagte Raylan.
»Hey, ich weiß, dass beide völlig durchgeknallt waren. Aber es ist ja trotzdem nicht einfach, beide Söhne zu verlieren«, sagte Dewey, »nachdem man gesehen hat, wie sie aufgewachsen sind. Man muss aufpassen, dass einem so was nicht das Herz bricht. Pervis hat ja dieses farbige Mädchen, das ihn besuchen kommt.« Dewey hob kopfschüttelnd die Schultern. »Wenn es ihm gefällt. Bei jedem Menschen gibt’s was, das man sich nur schwer vorstellen kann.«
»Man muss mindestens eine Meile in ihren Mokassins gelaufen sein«, sagte Raylan, »bevor man versteht, woher sie kommen.«
»Sie sagen es«, meinte Dewey.
Raylan sah, wie er mit den Schultern zuckte und in seinen Doc Martens wegging.
Raylan näherte sich der Limousine und klopfte an die getönte Scheibe.
»Ihnen ist klar, dass eine ganze Turnhalle voller Menschen auf Sie wartet?«
Das Fenster wurde heruntergelassen.
»Ich warte, bis sie richtig laut und unruhig werden«, sagte Carol, »dann kann ich sie nämlich wieder beruhigen. Wo ist Dewey hin?«
»Nach Hause, sobald er eine Mitfahrgelegenheit gefunden hat.«
»Ihnen ist doch ebenfalls klar, dass Pervis diesem Idioten niemals seinen Berg überlassen würde, nicht, solange er noch bei Verstand ist.«
»Kann ich mir auch nicht vorstellen«, sagte Raylan, »aber mit hundertprozentiger Sicherheit weiß ich es nicht.«
»Morgen treffen wir uns mit Pervis«, sagte Carol. »Bringen ihn dazu, mit der Wahrheit rauszurücken.«
Raylan fragte: »Wieso interessiert es Sie überhaupt, was ich denke?«
Carol sagte: »Ich will Sie zur Abwechslung mal auf meiner Seite haben.«
Das Fenster fuhr bereits wieder hoch.
Draußen standen einige Leute und rauchten, kamen auf Raylan zu, wollten ihm die Hand schütteln, ihm sagen, dass er’s ihr aber ganz schön gezeigt hätte, und fragen, wo sie war, ob sie sich etwa in der Limousine versteckte? Raylan sagte leichthin, Ms. Conlan ruhe sich noch ein bisschen aus – sie hätten ihr ganz schön zugesetzt. Manche meinten, sie hätten genug Konzerngewäsch gehört, und fuhren nach Hause. Raylan war überrascht, als er Hazen Culpepper auf sich zukommen sah. »Ich dachte, Sie sind schon weg.«
»Macht keinen Unterschied. Ich kann nicht erkennen, dass Sie irgendetwas wegen Otis unternehmen.«
»Was denn zum Beispiel? Mir ein Bein ausreißen?«
»Setzen Sie sie in eines dieser Zimmer, die Sie da haben, und halten Sie ihr eine Lampe ins Gesicht. Bringen Sie sie zum Reden.«
»Die Leute des Sheriffs haben Ms. Conlans Aussage bereits«,sagte Raylan. »Otis hat auf sie geschossen, Boyd hat zurückgeschossen und ihr so das Leben gerettet.«
»Glauben Sie das etwa?«
»Ich habe sie auch selbst gefragt: ›Otis soll aus weniger als neun Metern Entfernung mit einem Zwölfkaliber auf Sie geschossen und noch nicht mal den Trailer getroffen haben?‹ Ms. Conlan hat darauf geantwortet: ›Da muss er wohl danebengezielt haben.‹ Sie würde auf diese Aussage einen Eid ablegen. So sieht es momentan aus. Ich glaube nicht, dass sie die Wahrheit sagt, aber ich kann nichts machen.«
»Wenn Otis mit seiner Schrotflinte schießt«, sagte Hazen, »dann schießt er nicht daneben. Das würde ich vor Gericht bezeugen.«
»Sie können sagen, was sie wollen – wenn wir je in einem Gerichtssaal landen sollten. Aber davon sind wir noch weit entfernt«, sagte Raylan. »Wenn Sie versuchen, die Sache selbst zu regeln, muss ich Sie abholen kommen. Verstanden? Ich kann mir vorstellen, wie es Ihnen geht. Wir können uns jetzt beide den Kopf zerbrechen, aber helfen wird das keinem.«
»Ich bekomme aber nicht so einfach aus dem Kopf«, sagte Hazen, »dass mein Bruder ermordet wurde.«
»Verstehe ich«, sagte Raylan. »Aber Boyd dranzukriegen ist mein Job, nicht Ihrer.«
»Sollten Sie das jemals vergessen«, sagte Hazen, »rufen Sie mich an. Dann komme ich und erinnere Sie dran.«
Unter anderen Umständen hätten sie Freundschaft schließen können. Raylan hielt Hazen, der schon im Weggehen begriffen war, die Hand hin.
Carol stieg, mit Casper im Schlepptau, aus dem Wagen. Sie sagte zu Raylan: »Das war Otis’ Bruder,
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