Rebecca
mir ja nicht, mir einen Mann über zwanzig zu suchen, und diese pickligen Teenager hängen mir zum Hals raus. Ging dir das früher auch so?«
»Immer schon«, sagte Suzan.
»Richtig.« Rebecca errötete, als sie an ihren Vater dachte.
Suzan amüsierte sich ein bisschen über Rebeccas Verlegenheit. »So habe ich es gar nicht gemeint«, sagte sie. »Ich dachte an früher, als ich sechzehn war. Jungs hinken eben mit ihrer Entwicklung ein bisschen hinterher, aber irgendwann holen sie auf. Wenn du mal zwanzig bist, findest du auch jemanden Nettes in deinem Alter oder meinetwegen fünf Jahre älter als du, das spielt dann auch keine Rolle mehr.«
»Ach, das wäre schön.«
Suzan vergaß manchmal, dass Becky erst sechzehn war. Sie hatte irgendwo gelesen, dass Mädchen, die ihre Mutter verloren, viel früher ihre sexuelle Reife erlangten als Mädchen in Familien mit beiden Eltern, als unternähme die Natur den sonderbaren Versuch, die entstandene Lücke so schnell wie möglich zu füllen. Natürlich mochte es daran liegen, aber sie glaubte eher, dass es einfach eine Typfrage war, denn schon als kleines Kind hatte Becky alles lesen und wissen wollen. Sie war wahrscheinlich schon damals klug und unabhängig gewesen.
»Ich gehe dann mal nach nebenan«, sagte Rebecca. »Ich muss noch Hausaufgaben machen für morgen. Okay?«
Suzan nickte und hockte sich vor den Kamin. Die Asche hätte herausgeholt werden müssen, aber nicht heute, am Sonntag, und Holz lag noch genug im Kasten neben dem Kamin. Sie schob die Asche beiseite, nahm eine Zeitung und Anmachholz aus dem Korb und bereitete auf dem Eisenrost das Feuer vor. Der Regen peitschte gegen die Fenster. Der Wind wurde stärker. Die Meteorologen behaupteten, das Wetter wäre völlig normal, dabei wurden die Sommer immer heißer, im Winter und im Frühling fiel mehr Niederschlag und die Stürme wurden immer heftiger. Manchmal gab es Furcht erregende Orkane und dann stellte sie sich unter das Vordach und beobachtete die Pappeln am Achterweg, die sich so stark bogen, dass man befürchtete, sie würden jeden Moment brechen. Suzan hatte sich an den Gedanken gewöhnt, hier sicher zu sein, nicht nur weil der alte Gelderländer Bauernhof mit seinem Rieddach den Naturgewalten gewiss noch ein paar Jahrhunderte länger trotzen würde, sondern vor allem weil Roelof schon allein dadurch, dass er bei ihr war und bei ihr blieb, ihr das alte Unsicherheitsgefühl genommen hatte. Diese komischen Anrufe in den letzten zwei Wochen hatten gewiss nichts zu bedeuten.
Sie warf einen Blick zu dem Schachtisch auf der anderen Seite des Kamins, vor dem zwei mit Lammfellen bedeckte Hocker standen. Wenn die Kinder nicht zu Hause waren und sie das Haus für sich allein hatten, versuchte Roelof, ihr das Schachspielen beizubringen, aber sie war nicht sonderlich begabt. Sie wusste, wie man die Schachfiguren bewegte und wie sie ein Schäfermatt vermeiden konnte, aber zehn Züge später erwischte er sie dann doch. Oft waren, so wie jetzt, komplizierte Stellungen auf dem Brett aufgebaut und es war strengstens verboten, die Steine zu verrücken. Becky tat es manchmal trotzdem, um ihren Vater und ihren Bruder ein bisschen zu ärgern, aber schon nach wenigen Zügen merkten sie dann, dass sie zwei weiße Springer hatten oder dass sie vor einer Nowottny-Stellung saßen, oder wie auch immer Roelof das nannte, mit der schon ein mittelmäßiger Spieler leicht fertig wurde. Dann warfen sie Becky geringschätzige Blicke zu, zuckten die Achseln und stellten die Steine wieder so auf wie vorher. Beide hatten ein geradezu fotografisches Gedächtnis.
Manchmal hatte Suzan ein schlechtes Gewissen, weil sie so glücklich war.
3
Rebecca kam meistens vor sechs Uhr von der Schule nach Hause, nur montags blieb sie zusammen mit Atie und Betsy Verduin noch in Gorkum, weil sie im Sportzentrum Volleyballtraining hatten. Sie aßen in einem Imbiss ein Brötchen oder einen Hamburger und nach dem Training mussten sie sich meist beeilen, um den Zug noch zu erwischen, vor allem weil Atie mehr Zeit zum Duschen und Zurechtmachen brauchte als normale Menschen. Es war halb zehn, als ihr Zug in Leerdam ankam. Es hatte zwar tagsüber nicht mehr geregnet, aber es war bewölkt und schon ziemlich dunkel. Rebecca und Atie winkten Betsy noch nach, die weiterfuhr bis nach Geldermalsen, und gingen mit ihren Taschen zum Ausgang. Der Bahnhof war verlassen bis auf zwei andere Reisende und einen Mann, der mit dem Rücken zu ihnen in sein Handy
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