Rebecca
spurlos verschwunden. Der Computer nannte Den Bosch als letzten bekannten Wohnort und diese Information stammte aus dem Jahr 1979. Normalerweise ist dem Einwohnermeldeamt bekannt, wohin eine Person umzieht, und sei es nur, weil die persönlichen Daten zu den Ämtern am neuen Wohnort geschickt werden müssen. Aber hier stand nur unbekannt verzogen. Anke hatte sich weder in Den Bosch abgemeldet noch sich an ihrem neuen Wohnort angemeldet, jedenfalls nicht in den Niederlanden.
Eine ehemalige Klassenkameradin, wahrscheinlich aus Leeuwarden, glaubte zwanzig Jahre später, Douwes Mutter in Uzès gesehen zu haben. Das war vermutlich der Grund, weshalb Dennis die Ansichtskarte seiner Tante aufgehoben hatte. Er suchte seine Mutter. Aber Anke hatte wahrscheinlich einen Pass besessen und konnte ebenso gut mit einem Australier durchgebrannt sein oder in Kanada wieder geheiratet haben. Zwar brauchte man dafür relativ aktuelle gültige Papiere, aber jemand, der seine Spuren in den Niederlanden verwischen wollte, würde in Las Vegas oder irgendwo in Brasilien sicherlich mit einer alten Geburtsurkunde, einer Kopie der Scheidungsurkunde und ein paar Hundert Dollar in der Hand einen kreativen ›offiziellen‹ Übersetzer finden.
Die Scheidung zwischen Reinout Barends und Anke Zijlstra war am 14. Dezember 1979 rechtskräftig geworden, zwei Monate nach der Geburt ihres Sohnes. Douwe, jetzt Dennis Galman, hatte seinen Vater nie gesehen. Vielleicht hatte er diesbezüglich nicht einmal absichtlich gelogen, sondern glaubte tatsächlich, sein Vater sei vor seiner Geburt gestorben. Irgendjemand musste ihm das erzählt haben. Mir fiel dabei nur die Tante ein, die nach seiner Adoption den Kontakt zu ihm aufrechterhalten oder sich wieder bei ihm gemeldet hatte, als er bereits erwachsen war.
Warum hatte sie ihm weisgemacht, sein Vater sei tot?
Ich tappte im Dunkeln. Tante F. war vermutlich nicht mit Reinout verwandt. Anke hätte ihr Baby eher einer eigenen Schwester als einer Verwandten Reinouts anvertraut. Vielleicht hatten die Schwestern Zijlstra Reinout einfach für tot erklärt, weil sie ihn hassten, oder es gab für sie irgendeinen anderen wichtigen Grund, Vater und Sohn für immer voneinander fern zu halten.
Alles war möglich. Die Vergangenheit ist mehr als etwas, was unabänderlich ist, weil es bereits geschehen ist. Es kommt auch darauf an, was die Leute mit der Vergangenheit anfangen, was sie daraus machen. Manche werden stärker durch sie, andere missbrauchen sie als Vorwand, um sich und andere zu quälen. Allmählich beschlich mich das Gefühl, tatsächlich in der Vergangenheit graben zu müssen, um herauszufinden, welche Motive Dennis zu seinem Verhalten trieben.
16
In der Gegend von Leeuwarden schienen beinahe alle Dörfer auf -um zu enden: Goutum, Siwechum, Jellum, Reduzum, Comjum. Vielleicht bedeutete das -um einfach drum herum. So mussten es wohl auch die Friesen gewesen sein, die Amsterdam irgendwann mal in Mokum umtauften, ein Spitzname, der bis heute hängen geblieben ist. Ich nahm mir vor, das irgendwann mal zu recherchieren.
Es war ziemlich weit bis nach Wierdum und unterwegs hörte ich im öffentlichen Rundfunk Frauen darüber klagen, dass ihnen ihre Männer keine Blumen mehr mitbrachten, Männer besorgt nachfragen, ob ihr Penis vielleicht zu klein sei oder warum ihre Frau wohl so wenig oder gar keinen Sex mehr wollte, seitdem das Kind auf der Welt war. Die Radiotante hatte für alle ein beruhigendes Wort: Die Länge spiele keine Rolle, die Krankenkasse würde vielleicht einen Teil der Kosten für eine Schönheitsoperation übernehmen und es könne nicht schaden, bei Problemen im Bett einen Sexualtherapeuten zu konsultieren. Seit zehn Jahren riefen die Leute mit immer denselben Problemen an und erhielten immer dieselben Antworten. Es änderte sich wenig in Flevoland, dem Nordostpolder und den Seen- und Weidelandschaften Frieslands.
Das Pflegeheim erwies sich als niedriges Backsteingebäude, umgeben von friesischen Rasenflächen, amerikanischen Koniferen und einer vereinzelten libanesischen Zeder. Der Geruch von zerkochtem Rosenkohl wehte aus Dunstabzugsklappen ins Freie. Eine Krankenschwester führte mich die Flure entlang bis zu einer Tür mit drei Namen. H. Dinstra. K. Groothuis. R. Barends. Es war Viertel nach zwölf und die Tür stand offen.
»Bitte warten Sie noch einen Moment«, flüsterte die Schwester. »Er ist noch beim Essen. Er kann nur sehr schlecht sprechen, aber mein Kollege Gerben wird sicher
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