Rebecca
Bett lag und wischte Reinout den Speichel vom Mund. »Meneer Winter wollte mich sprechen«, erklärte er dann. »Ich komme gleich wieder, bei dem schönen Wetter können wir dich draußen ein bisschen spazieren fahren, okay?«
Barends schaute mich weiterhin mit argwöhnischem Blick an, als fühle er, dass ich seinetwegen gekommen war, obwohl sein Pfleger etwas anderes behauptete. »Wobä?«
Gerben lächelte nachsichtig. »Aus Amsterdam.« Er winkte mir zu, dass ich mitkommen sollte, mit einer Ungeduld, die ausschließlich mir galt.
Ich lächelte dem alten Mann zu, mit dem ich nicht kommunizieren konnte.
Der Pfleger führte mich an offenen Türen vorbei, hinter denen alte Leute auf die Erlösung von dem passiven Inferno warteten, dem manche von uns durch Zufall, Unglück oder Missgeschick anheim fallen. »Hier können wir uns in Ruhe unterhalten«, sagte Gerben, als wir einen verlassenen Aufenthaltsraum im rückwärtigen Teil des Gebäudes erreichten.
Er zeigte auf die großen Fenster und fragte: »Kann ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?«
Es war zu früh für etwas Stärkeres, das ich jetzt eher hätte gebrauchen können. »Ja, gern«, sagte ich.
Während er mit einer Kaffeemaschine hantierte, ging ich zwischen den Tischen und Lehnstühlen hindurch auf ein offenes Fenster zu.
Draußen stand ein Lieferwagen auf einem breiten, gepflasterten Weg, dahinter befand sich ein hoher, mit Wein umrankter Zaun. Ein Friese mit gesunder Gesichtsfarbe öffnete die Klappe des Lieferwagens und fing an, Kartons auszuladen und aus meinem Blickfeld zu tragen, wahrscheinlich zum Lieferanteneingang. Ich atmete den Sommer tief ein. Ich fühlte mich deprimiert.
Gerben stellte ein Tablett mit Kaffee, Milchdöschen, Zuckertütchen und eingeschweißten Keksen auf den Tisch. »Das hier ist der Aufenthaltsraum für die Besucher«, erklärte er, »aber die kommen erst ab zwei Uhr. Wenn sie kommen. Die Verwandten neigen dazu … na ja. Reinout hat keine Verwandten mehr, außer einer Schwester, die in den belgischen Ardennen wohnt. Der Einzige, der ihn besuchen kommt, ist sein alter Freund und Mentor Sjoerd Tuinman, ein pensionierter Lehrer aus Leeuwarden.«
»Ist wohl nicht einfach, mit ihm zu reden.«
»Man muss nur lernen, ihn richtig zu verstehen. Ich bin sein Übersetzer. Reinout ist ein netter Mensch, der viel Pech im Leben hatte. Letzteres gilt natürlich für alle hier. Ich versuche ihn zu schützen, auch vor seinen eigenen Illusionen und Erwartungen. Manchmal kann er sich furchtbar aufregen, dann kriegt er keine Luft und muss ans Sauerstoffgerät. Deswegen hat mir Mevrouw Klasma ans Herz gelegt, mich vorher zu erkundigen, was Sie genau von ihm wollen. Wir behalten uns vor, ihn eventuell nicht damit zu beunruhigen, wenn es uns ratsam erscheint. Eigentlich wollte ich Sie schon im Foyer abfangen, aber Sie waren früher da als angekündigt.«
Wir schwiegen, pulten die Milchdöschen auf und Gerben auch ein Zuckertütchen. »Dann haben wir ein Problem«, sagte ich. »Ich benötige nämlich Informationen über seine Vergangenheit.«
»Ach, das muss nicht unbedingt ein Problem sein.« Gerben lächelte. »Ich weiß so ziemlich alles über ihn. Ich kenne ihn nämlich von früher. Ich bin zwar zehn Jahre jünger als er, aber wir waren im selben Billardverein. Nach seinem Unfall habe ich ihn aus den Augen verloren, bis ich vor zehn Jahren hier anfing und ihn zu meiner Überraschung wiedertraf. Seitdem ich hier arbeite, haben wir uns angefreundet. Er erzählt mir alles Mögliche und den Rest weiß ich von Sjoerd, der inzwischen über achtzig ist. Reinout war einer seiner Schüler in der Grundschule. Wir setzen ihn in den Rollstuhl und gehen draußen mit ihm spazieren oder wir bleiben an seinem Bett und unterhalten uns. Was möchten Sie wissen?«
»So viel wie möglich über seine Exfrau und seinen Sohn.«
»Reinout hat Douwe nie gesehen. Er weiß nichts über ihn, und er will auch nicht, dass wir ihn ausfindig machen. Sjoerd und ich haben versucht, ihn umzustimmen, aber er weigerte sich hartnäckig mit dem Argument, sein Sohn habe ja doch nichts von so einem Vater. Das ist die Kurzfassung, darauf läuft es hinaus. Er hat seinen Frieden damit gemacht. Er … er verlässt uns. Dieses Jahr wird sein letztes sein, damit rechnen wir jedenfalls. Ich weiß nicht, was Sie wollen, aber Sie kommen auf jeden Fall zu spät, egal worum es geht.« Gerben zuckte mit den Schultern. »Außerdem nehme ich an, dass es sich um etwas Unangenehmes handelt,
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