Rebecca
sollten Nel auf die Seite legen und Hanna in ihre Arme, ihr Köpfchen unter Nels Kinn. Der Bestatter hatte getan, was er konnte, aber sie sahen nicht aus wie CyberNel und Hanna. Ich deckte sie mit dem Leintuch zu und schloss den Deckel des Korbes.
Ihre Eltern kamen, der Fahrradmechaniker aus Feerweerd und seine Frau. Nels einzige Schwester war gerade am Blinddarm operiert worden und lag im Krankenhaus. Sie wohnte in Deutschland, in der Nähe der tschechischen Grenze. Die Eltern waren in Geldermalsen untergebracht. Sie waren liebe Leute, niedergeschmettert von dem Verlust, und wir versuchten, uns gegenseitig zu trösten, obwohl es keinen Trost gab. Du konntest es nicht verhindern, Max, sagte ihr Vater zu mir. Es war unabänderlich.
Doch ich konnte an nichts anderes denken als daran, dass ich im Bett gelegen und geschlafen hatte, dass ich sie nur fünf Minuten länger hätte festhalten müssen, dass ich sie hätte fahren sollen, dass sie den BMW hätte nehmen sollen, anstatt ihren alten Renault ohne Airbags, kein Gegner für einen Panzer von Mercedes, in dem ein siebzigjähriger pensionierter Sportjournalist sogar einen Herzinfarkt überleben konnte. Eine Minute später, zehn Sekunden später, und Nel hätte angehalten, die Polizei gerufen und nachgesehen, ob sie etwas für den alten Mann tun konnte, der in seinem gestrandeten Mercedes nach Luft rang.
Bart und Ria kamen aus Amsterdam und schliefen im Gästezimmer auf der Deichseite. Ria half mir, indem sie alles Mögliche organisierte, Bart, indem er mit mir über den Deich spazierte.
»Möchtest du, dass ich etwas über CyberNel sage?«, fragte er, als wir an der kleinen Schleuse stehen blieben, die die Wasserzufuhr zwischen dem Fluss und dem Graben auf der anderen Seite des Deiches regelte.
»Nein«, sagte ich.
Eine kleine Jacht trieb vorbei, ein Mann mit weißer Kapitänsmütze stand am Ruder und eine blonde Frau im Bikini auf dem Vorderdeck. Ich zündete mir eine Gauloise an. Bart lehnte dankend ab. Laut Aufschrift auf dem Päckchen würde mir ein Arzt oder Apotheker gerne helfen, wenn ich mich wie er gegen das Rauchen entschied.
»Man hat mir den Posten des Sicherheitschefs bei Riotec angeboten«, sagte er unvermittelt.
»Ist da nicht auch Panhuis hingegangen?«
»Ja, und da hat er in acht Jahren mehr verdient als in zwanzig Jahren bei der Kripo. Er ist jetzt fünfundsechzig und kauft sich ein Haus auf Aruba. Was soll ich machen, was meinst du?«
»Frag doch lieber Grundmeijer, ob er dir nicht einen anderen Partner geben kann als diesen Dingsda, diesen Griffelpisser. Ihr habt doch viel bessere Leute als den.«
»Es geht nicht nur um meinen jetzigen Partner«, erwiderte er. »Es ist dieses ganze Drumherum. Mir wird das einfach alles zu viel. Ich merke, wie ich abstumpfe.«
Ich wusste, was er meinte. Jeder Polizist hat solche Tiefs. Wir hocken uns an Tatorten neben tote Männer, Frauen und Kinder, Gangster und Huren, um die Szene auf uns einwirken zu lassen und uns zu fragen: Wer? Was? Wo? Und, verdammt nochmal, warum? Man sitzt bei ihnen, sie sagen nichts, man kann sie nicht mehr kennen lernen, sie sind die Toten ohne Gesicht. Die Grünschnäbel machen sich nichts daraus, die alten Hasen reißen blöde Witze und versuchen, es nicht an sich heranzulassen. Die Toten werden zu einer Statistik, achtzig Prozent fallen Familienstreitigkeiten zum Opfer, der Rest wird aus Rache, Grausamkeit, Sadismus und kranker Lust umgebracht, den verborgenen Viren der Verderbnis, die die Menschheit infizieren und die eigenen Hoffnungen zerfressen. Man legt sich ein dickes Fell zu, doch nach einer Weile durchdringen sie auch das und werden zur nächtlichen Heimsuchung.
Bart war fünfzig und wollte da raus, bevor seine Seele ganz verschlissen war und er immun wurde. Jeder Polizist glaubt, zehn Jahre zuvor habe die Welt ein menschlicheres Gesicht gehabt, und wahrscheinlich hat er Recht, immer wieder. Früher eröffneten ehemalige Polizeibeamte einen Tabakladen, wie ausgebrannte Fußballspieler, oder eine Kneipe. Bart war ein wenig neidisch auf mich, weil ich die Depressionen nicht abgewartet und mich erfolgreich selbstständig gemacht hatte. Im Grunde erhoffte er sich, von mir erlöst zu werden, indem ich ihn als Amsterdamer Filiale in die Firma Winter & Co. aufnahm. Er wagte es aber nicht, das so deutlich auszusprechen, und ich mochte gar nicht daran denken. Ich warf meine Kippe in das Wasser, das gegen die Schleuse drückte.
»Du bist zu gut dafür, um in einer Firma am
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