Rebecca
Schreibtisch zu hocken«, sagte ich.
Bart nickte und beobachtete die Teichhühner. Er sah gut aus, besser, als ich mich fühlte. Er hatte zehn Kilo abgenommen und sein Gesicht wirkte ohne die runden Wangen und das Doppelkinn härter und respekteinflößender. Er hatte sich komplett neu eingekleidet, aber einen dunklen Anzug besaß er offenbar noch nicht. Sein altes Exemplar hing auf der Beerdigung wie ein Sack an ihm herunter.
Ich will da nicht sein, es ist ein Schock, ich begreife es jetzt erst in voller Tragweite, sie haben neben der reformierten Kirche ein Loch für dich ausgehoben und tragen dich dorthin und es ist endgültig.
Bokhof schließt mich in seine umfangreichen Arme. Sein Sohn, der ebenfalls Harm heißt, drückt mir feierlich die Hand. Corrie steht bleich und verweint zwischen ihren Eltern und anderen Nachbarn. Nels Geschäftspartner Eddie ist auch gekommen, ein Computerfreak, der mit Nel zusammen eine Sicherheitssoftware-Firma aufgezogen hat und noch immer wie verkleidet wirkt in den Direktorenanzügen, die er seitdem trägt. Meulendijk trifft auf dem Friedhof ein in einer Limousine mit Chauffeur und einem Strauß weißer Nelken. Ich murmele, Winter & Co. existiere nicht mehr und er solle mich von der Liste streichen. Ich höre ihn antworten, dies sei nicht der richtige Zeitpunkt für solche Entscheidungen und ich solle mir das erst nochmal in Ruhe überlegen. Ich sehe, wie er und Bart ins Gespräch kommen.
Leute sagen irgendetwas. Worte. Wir berühren uns, Verwandte, Freunde.
Doch schließlich bleibe ich allein zurück, in einem leeren Haus. Die Sonne scheint noch. Es ist zu viel zu essen da, zu viel zu trinken, alles ist da, außer Stimmen. Die kleine Stimme mit der wachsenden Anzahl von Wörtern, das Schlaflied von CyberNel. Ich ziehe den Telefonstecker heraus, schließe die Tür ab und gehe hinauf. Ich falle aufs Bett und lasse die Nacht kommen.
7
Rebecca starrte die Bleistiftmarkierung an, die nur von ihrer Mutter stammen konnte. Emma hatte fünf altenglische Zeilen auf einer vergilbten Seite angestrichen. Sie sollten ein Referat schreiben zum Thema: Ein alter Dichter in meinem Bücherschrank. Atie hatte sich für Vondel entschieden. Ein paar Zicken nannten Esmoreit oder den unbekannten Verfasser des Rolandliedes oder die Canterbury Tales, als hätten sie das alles zu Hause im Bücherregal stehen. Homer vielleicht oder die tschechische Massenausgabe von Shakespeare, die die halbe Welt damals für einen Zehner gekauft und in den toten Winkel des Bücherregals gestellt hatte.
Rebeccas Mutter war eine bescheidene Grundschullehrerin gewesen, jedoch mit einer lebenslangen Leidenschaft für Literatur. Die meisten ihrer Bücher standen noch in Kartons verpackt auf dem Speicher. Rebecca hatte auf gut Glück einen geöffnet und eine Globe-Edition von Edmund Spenser aus dem Jahr 1902 gefunden, eine geschmackvolle Ausgabe in klassischem Einband, verschossenes Grün mit Golddruck. Auf die Innenseite hatte ihre Mutter ihren Namen geschrieben, in ihrer sauberen, schrägen Handschrift, mit demselben zarten Bleistiftstrich. Als habe sie sich für zu unbedeutend gehalten, um mehr als eine auslöschbare Spur auf diesem Werk zu hinterlassen, das Jahrhunderte überdauert hatte: Emma Welmoed, 1984.
Rebecca hatte noch nicht viel geschrieben, nur dass Spenser 1552 geboren wurde und 1599, mit 47 Jahren, völlig verarmt gestorben war und dass er der Dichter der Dichter genannt wurde. Ein alter Dichter im Bücherschrank meiner Mutter. Sie hatte die Zeit vergessen, nachdem sie das Buch auf den Rücken gelegt und es sich von selbst an einer Stelle mit Sonetten geöffnet hatte, als sei es hundertmal auf dieser Seite aufgeschlagen worden.
Rebecca schloss die Augen und dachte an ihre Mutter. In den letzten Jahren war es ihr immer schwerer gefallen, sich ihr Bild in Erinnerung zu rufen, aber jetzt sah sie sie in ihrem alten Haus zwischen ihren Büchern sitzen, mit ihren braunen Augen und den schönen, schlanken Händen, während sie den fünfhundert Jahre alten Text las und die Passage anstrich. Für wen? Rebecca hatte das sonderbare Gefühl, dass die Markierung ihr galt, obwohl sie damals vielleicht noch nicht einmal geboren war, als Ratschlag oder als Ermahnung, Gib gut auf dich Acht, weil alles, was Mütter taten, für ihre Töchter bestimmt war.
Let no one sparke of filthy lustfull fyre
Breake out, that may her sacred peace molest
No one light glance of sensual desire
Attempt to work her gentle
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