Rebecca
beide helles, glattes Haar und dieselbe Gesichtsform besaßen.
De Bruin hielt eines der Fotos hoch. »Das hier ist mein Vater. Und wer ist der andere Mann?«
»Ich hoffe, dass Ihr Vater das noch weiß«, sagte ich. »Stoete kann sich nur an seinen Vornamen erinnern.«
De Bruin warf das Plaid ab. »Bitten warten Sie hier einen Augenblick«, sagte er.
»Kann ich nicht selbst mit ihm sprechen?«
Er verneinte knapp und entschieden und hinkte mit den Fotos in der Hand zum Wintergarten hinaus. Ich hörte ihn im Flur rufen und kurz darauf erschien seine Frau mit einem Tablett. »Milch und Zucker?«, fragte sie.
»Nein danke, weder noch.«
»Bleiben Sie zum Essen?«
»Nein, ich bin gleich wieder weg.« Ich dachte an den Geruch nach Krankheit im Flur. Vielleicht war sie so missgelaunt, weil sie sich nicht nur um ihren Mann kümmern, sondern auch noch ihren Schwiegervater waschen und versorgen musste, der obendrein von den Zeitungen und von ihrer Familie als Kriegsverbrecher abgestempelt wurde.
Sie nickte mürrisch und sagte: »Wenn Sie wüssten, was hier los ist!«
Ich trank von dem Tee, blickte zwischen den Ficusstämmen hindurch auf den Fluss und wartete, bis Frederik mit den Fotos und einem aufgeschlagenen Schreibblock zurückkehrte.
»Mein Vater erinnert sich an das Foto«, sagte er, als er wieder auf seinem Stuhl Platz genommen hatte. »Es wurde bei der Bauabnahme eines Schulgebäudes in Groningen aufgenommen. Er und Stoete waren Freunde, haben sich aber natürlich im Laufe der Jahre aus den Augen verloren. Wie haben Sie ihn gefunden?«
»Keine Ahnung, wie Marsman das gemacht hat. Kann Ihr Vater sich auch an den anderen Mann erinnern?«
»Allerdings. Sein Name ist Johan Hasselt, ein ungehobelter Kerl, der als Maurer bei der Baufirma anfing, nachdem sie mit dem Bau des Schulgebäudes bereits begonnen hatten. Er arbeitete noch bei der Firma, als mein Vater wegging, aber wahrscheinlich haben Sie da den Falschen im Visier.«
»Glaubt Ihr Vater das?«
»Er ist sich sicher. Hasselt war ein Grund dafür, dass meine Eltern die Niederlande verließen. Hakenkreuze an der Tür, Beschimpfungen, kleine Arbeitsunfälle, Drohungen gegenüber meiner Mutter. Nein, er war eher der Typ, der sich dem Widerstand angeschlossen, NSB-Mitglieder zusammengeschlagen und Naziliebchen kahl geschoren hätte.«
Doch das eine schloss das andere nicht aus, wie Marsman nach seinem Gespräch mit dem inzwischen achtzigjährigen Stoete zu vermuten begann. Marsman glaubte, dass irgendjemand die Identität von Frederiks Vater angenommen hatte, jemand, der wusste, dass de Bruin nach Deutschland ausgewandert war und nicht zurückkehren und ihn entlarven würde. Stoete war damals genau wie seine Kollegen auf dem Bau dem Arbeitsdienst entgangen, weil der Bauunternehmer unter anderem Aufträge für die deutsche Wehrmacht ausgeführt hatte.
»Laut Stoete verließ Johan Hasselt Ende 1943 die Baufirma, weil er mit Schwarzmarktgeschäften mehr verdienen konnte«, erzählte ich. »Stoete hat ihn danach nicht mehr wiedergesehen, aber gerüchteweise hieß es, er sei von der Gestapo oder dem SD verhaftet worden, als er das Haus deportierter Juden ausräumte. Stoete glaubt durchaus, dass Hasselt im Stande gewesen wäre, der Gestapo seine Dienste anzubieten, wenn er damit seine Haut hätte retten können. Weiß Ihr Vater noch, wo er damals wohnte?«
»Er kam aus Schelfhorst, einem Dorf südlich von Groningen.« De Bruin riss das Blatt von seinem Notizblock und gab es mir. »Mein Vater hätte übrigens gerne die Adresse von Wim Stoete, er möchte ihm schreiben.«
»Er wohnt bei seiner Tochter in Scharmer.« Ich gab ihm die Adresse, steckte die Fotos wieder ein und verabschiedete mich. »Sie hören so bald wie möglich von uns.«
Draußen zog von Osten her die Finsternis herauf.
Das Hotel lag am Rande eines Industriegebietes, neben einem Kreisverkehr, der die Kunden zu den Riesensupermärkten und Mammut-Baumarktpalästen verteilte, was sehr viel Lärm verursachte. Wäre Nel bei mir gewesen, hätten wir uns ein romantisches Restaurant mit Kerzenschein und kühlem Rheinwein am Fluss gesucht, aber ein allein reisender Mann hat nun mal die masochistische Neigung, seine Einsamkeit hinter den blickdichten Fenstern eines kahlen Hotelrestaurants auszukosten, umgeben von Vertretern, deren Spesen nicht für das Sheraton reichen, und polnischen Touristen in kurzen Hosen. Schweigend arbeiteten wir uns durch das Tagesmenü: Kohlsuppe, Kalbsrouladen und
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