Rebecca
er.
Wir standen ganz still und sahen schweigend auf die leuchtend weißen Blumengesichter, die uns am nächsten waren. Und dann begannen die Vögel zu singen. Zuerst eine Amsel, deren heller Ton sich klar und kühl über dem dahinplätschernden Bach emporschwang; und nach einer kleinen Weile erklang die Antwort von ihrem Gefährten, der sich hinter uns im Wald verborgen hielt, und bald darauf wurde die eben noch so stille Luft um uns her von einem vielstimmigen Gesang belebt, der uns noch verfolgte, als wir dann ins Tal hinunterliefen; und der Duft der Blüten folgte uns auch. Es war seltsam erregend, wie in einem verzauberten Garten. Ich hatte nicht gedacht, daß dieses Fleckchen Erde so schön sein könnte.
Weder der Himmel, der sich jetzt ganz bewölkt und verdunkelt hatte und so völlig anders aussah als am frühen Nachmittag, noch der unentwegt herniederrieselnde Regen vermochten den sanften Frieden des Tales zu stören. Ich hielt Maxims Hand und brachte kein Wort über die Lippen. Der Zauber des Glücklichen Tales nahm mich gefangen. Dies endlich war das eigentliche Herz von Manderley, dem Manderley, das ich so gut kennen und lieben lernen sollte. Vergessen war die lange Fahrt bei unserer Ankunft, die finstere Dichte des Waldes, die üppige, allzu stolze Pracht der Rhododendronbüsche; vergessen auch das riesige Haus, die Stille der großen Halle, in der das Echo jeden Schritt wiedergab, und das unheimliche Schweigen im Westflügel, in dem alles mit Tüchern zugedeckt war. Dort war ich ein Eindringling; ich ging durch Räume, die mich nicht kannten, und schrieb an einem Tisch und saß auf einem Stuhl, der nicht mir gehörte. Hier war es ganz anders. Hier, im Glücklichen Tal, fühlte ich mich nicht mehr als Fremde. Wir kamen an das Ende des Weges, wo die Blütensträucher sich über unseren Köpfen zu einem Dach zusammenwölbten, und wir bückten uns, um beim Gehen nicht anzustoßen. Und als ich mich wieder aufrichtete und mir die Regentropfen aus dem Haar strich, sah ich, daß das Tal mit den Azaleen nun hinter uns lag und daß wir jetzt, wie Maxim es mir vor vielen Wochen an jenem Nachmittag in Monte Carlo beschrieben hatte, in einer kleinen, schmalen Bucht standen, den harten, weißen Kies unter unseren Füßen, und das Meer gegen die Küste anbranden hörten.
Maxim las die Betroffenheit in meinem Gesicht und lächelte auf mich herab.
«Nicht wahr, das überwältigt dich?» sagte er. «Es hat noch jeden unvermutet getroffen. Der Gegensatz kommt zu plötzlich, es tut fast weh.» Er nahm einen Stein auf und warf ihn für Jasper über den Strand. «Na, hol ihn, alter Bursche», rief er ihm zu, und Jasper rannte hinter dem Stein her, die langen schwarzen Ohren dem Spiel des Windes preisgegeben.
Der Zauber war verflogen, der Bann gebrochen. Wir waren wieder sterblich geworden, zwei Menschen, die am Strand ihren Spaß trieben. Wir warfen noch mehr Steine, gingen ganz nahe ans Wasser heran, ließen flache Steinchen darüber hüpfen und angelten nach Treibholz. Die Flut war zurückgekehrt und bespülte wieder den Strand. Die niedrigen Felsen waren schon nicht mehr zu sehen, und die Moosalgen auf den Steinen wurden von jeder neu
heranrollenden Woge überschwemmt. Wir fischten ein langes, treibendes Brett auf und trugen es hinter die Flutgrenze auf den Strand. Maxim strich sich das Haar aus den Augen und wandte sich lachend nach mir um, und ich krempelte die Ärmel des Regenmantels hoch, die der Gischt völlig durchnäßt hatte. Und dann blickten wir uns um und sahen, daß Jasper verschwunden war. Wir riefen und pfiffen nach ihm, aber er kam nicht. Besorgt blickte ich zu der Höhlung der Bucht, wo die Wellen gegen die Felsen anbrandeten.
«Nein», sagte Maxim, «wir hätten ihn gesehen; abgestürzt kann er nicht sein. Jasper, du Idiot, wo bist du? Jasper! Jasper!»
«Vielleicht ist er zurückgelaufen?» meinte ich.
«Er stand ja vor einer Minute noch dort auf den Felsen und beschnupperte eine tote Möwe», entgegnete Maxim.
Wir gingen über den Strand zurück auf das Tal zu.
«Jasper! Jasper!» rief Maxim.
In der Ferne, jenseits der Felsen an der rechten Seite vom Strand, vernahm ich plötzlich ein kurzes, lautes Gebell. «Hast du gehört?» fragte ich, «er ist da hinaufgelaufen.» Ich begann in der Richtung des Gebells auf allen vieren die glitschigen Felsen emporzuklettern.
«Komm zurück!» rief Maxim scharf. «Wir wollen nicht da entlanggehen. Das dumme Vieh muß auf sich selber aufpassen.»
Ich
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