Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
die Stelle, an der Olof Palme ermordet worden war.
Pastor Vesa Larsson saß vornübergebeugt am selben Platz, auf dem er während des gesamten Gesprächs mit der Polizei gesessen hatte. Er beteiligte sich nicht an der hitzigen Debatte, sondern begrub sein Gesicht in den Händen. Vielleicht weinte er, aber das konnte man nicht sehen.
REBECKA UND SANNA waren mit dem Auto unterwegs in die Stadt. Schneeschwere graue Kiefern fegten im Scheinwerferlicht vorüber. Das belastende Schweigen war wie ein schrumpfender Raum. Mit jeder Minute, die verging, fiel ihnen das Atmen schwerer. Rebecka fuhr. Ihre Augen jagten zwischen Tacho und Straße hin und her. Die eisige Kälte sorgte dafür, dass es nicht glatt war, obwohl zusammengepresster Schnee die Straße bedeckte.
Sanna presste die eine Wange an die kalte Fensterscheibe und wickelte sich eine Locke um den Finger.
»Kannst du nicht irgendwas sagen?«, bat sie nach einer Weile.
»Ich bin nicht an Landstraßen gewöhnt«, sagte Rebecka. »Und es fällt mir schwer, gleichzeitig zu reden und zu fahren.«
Sie hörte selbst, dass ihre Lüge so deutlich war wie eine seichte Stelle unter der Wasseroberfläche. Aber das spielte keine Rolle. Vielleicht wollte sie es ja so. Sie schaute auf die Uhr. Viertel vor acht.
Jetzt keinen Streit anfangen, sagte sie sich immer wieder. Du hast Sanna ins Boot geholt. Jetzt musst du sie auch an Land schaffen.
»Glaubst du, die Mädchen kommen allein zurecht?«, fragte sie.
»Denen bleibt ja wohl nichts anderes übrig«, sagte Sanna und setzte sich gerade. »Und wir sind doch sicher bald wieder da, oder? Ich trau mich nicht, irgendwen anzurufen und um Hilfe zu bitten, je weniger Leute wissen, wo ich bin, um so besser.«
»Wieso das?«
»Ich hab Angst vor der Presse. Ich weiß doch, wozu die im Stande ist. Und dann sind da ja noch meine Eltern … aber jetzt reden wir von etwas anderem.«
»Möchtest du über Viktor sprechen? Darüber, was passiert ist?«
»Nein. Das muss ich ja bald der Polizei erzählen. Wir reden über dich, das beruhigt mich sicher. Wie geht es dir? Haben wir uns wirklich sieben Jahre lang nicht mehr gesehen?«
»Mmmm«, antwortete Rebecka. »Aber wir haben doch ein seltenes Mal telefoniert.«
»Und dass ihr das Haus in Kurravaara noch immer habt!«
»Ja, Onkel Affe und Inga-Lill können es sich angeblich nicht leisten, mich auszuzahlen. Ich glaube, sie sind sauer, weil sie als Einzige Geld und Arbeit in das Haus investieren. Aber andererseits hat außer ihnen ja auch niemand Freude daran. Ich würde es gern verkaufen. An sie oder an sonstwen, mir ist das egal.«
Sie überlegte, ob das wirklich stimmte. Hatte sie denn keine Freude am Haus ihrer Großmutter oder an der Hütte in Jiekajärvi? Nur, weil sie niemals dort war? Der bloße Gedanke an die Hütte, daran, dass es einen Ort gab, der nur ihr gehörte, weit weg von anderen Häusern, tief in der Wildnis, zwischen Wald und Moor, war das denn kein Grund zur Freude?
»Du bist so verdammt, wie soll ich sagen, elegant geworden«, sagte Sanna. »Und auf irgendeine Weise sicher. Ich hab dich natürlich immer schon schön gefunden. Aber jetzt könntest du irgendeiner Fernsehserie entsprungen sein. Eine tolle Frisur hast du auch. Meine Haare wachsen einfach so drauflos, bis ich sie mir dann selber schneide.«
Sanna fuhr sich verlegen durch ihre dichten blonden Locken.
Ich weiß, Sanna, dachte Rebecka wütend. Ich weiß, dass du die Schönste im ganzen Land bist. Und zwar, ohne dass du teures Geld für Friseur oder Kleider ausgibst.
»Kannst du nicht irgendwas sagen?«, bettelte Sanna kläglich. »Es tut mir alles so schrecklich Leid, aber ich habe doch um Verzeihung gebeten. Und ich bin starr vor Angst. Fühl mal meine Hände, die sind eiskalt.«
Sie zog eine Hand aus dem Lammfellhandschuh und streckte sie Rebecka hin.
Die spinnt doch, dachte Rebecka wütend und ließ das Lenkrad nicht los. Die ist doch verdammt nochmal total durchgedreht.
Fühl mal meine Hand, Rebecka, die zittert so schrecklich. Und sie ist eiskalt. Ich liebe dich so sehr, Rebecka. Wenn du ein Junge wärst, würde ich mich in dich verlieben, weißt du das?
»Du hast einen schönen Hund«, sagte Rebecka und gab sich Mühe, ruhig zu sprechen.
Sanna zog ihre Hand zurück.
»Ja«, sagte sie. »Tjapp. Die Kinder lieben sie. Wir haben sie von einem kleinen Samen bekommen. Sein Vater hat sich nicht um Tjapp gekümmert. Jedenfalls nicht, wenn er getrunken hatte. Und das tat er fast immer. Aber
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