Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
Prinzessin«, sagt der Forscher und befestigt den Sender an ihrem Hals, ein seltsames Schmuckstück für eine königliche Hoheit.
Der Hubschrauber dröhnt noch immer. Der Boden ist so sumpfig, dass der Pilot nicht wagt, den Motor auszuschalten, denn dann könnte er so tief im Morast versinken, dass er nicht mehr abheben kann.
Die Tierärztin gibt der Wölfin noch eine Spritze.
Der Forscher richtet sich auf. Seine Hand spürt sie noch immer. Das dichte, kalte Fell. Die Wolle ganz innen. Die groben, langen Deckhaare. Die schweren Pfoten.
Von der Luft aus sehen sie, wie sie auf die Beine kommt. Ein wenig wacklig.
»Hart im Nehmen«, kommentiert die Tierärztin.
Der Forscher schickt einen Gedanken an die höheren Mächte. Eine Bitte um Schutz.
Dienstag, 12. September
ALLES STEHT IN DEN MORGENZEITUNGEN. Und in den Radionachrichten ist ebenfalls die Rede davon. Der verschwundene Pastor ist mit einer Kette umwickelt in einem See gefunden worden. Durch zwei Schüsse getötet. Einen in die Brust. Einen in den Kopf. Glatte Hinrichtung, sagt eine Quelle bei der Polizei und behauptet, es sei mehr Glück als Verstand gewesen, dass sie den Leichnam überhaupt gefunden hätten.
Lisa sitzt am Küchentisch. Sie hat die Zeitung zugeschlagen und das Radio abgestellt. Sie versucht, ganz stillzusitzen. Sowie sie sich bewegt, scheint in ihr eine Welle loszubrechen. Eine Welle, die durch ihren Körper jagt, die sie auf die Füße reißt, sie zwingt, durch ihr leeres Haus zu trampeln. Ins Wohnzimmer mit den klaffend leeren Bücherregalen und den leeren Fensterbänken. In die Küche. Das Geschirr ist gespült. Die Schränke sind sorgfältig ausgewischt. Alle Schubladen leer. Keine Papiere oder unbezahlten Rechnungen liegen herum. Ins Schlafzimmer. In dieser Nacht hat sie ohne Bettwäsche geschlafen, sie hat sich nur mit dem Steppmantel zugedeckt und konnte zu ihrem großen Erstaunen schlafen. Der Mantel liegt zusammengefaltet am Fußende, unter den Kissen. Ihre Kleider hat sie fortgegeben.
Wenn sie ganz still sitzen bleibt, kann sie ihre Sehnsucht bezwingen. Die Sehnsucht nach Schreien und Tränen. Oder nach Schmerz. Die Sehnsucht danach, die Hand auf die glühend heiße Herdplatte zu legen. Bald wird es Zeit zum Aufbruch sein. Sie hat geduscht und saubere Unterwäsche angezogen. Der ungewohnte BH kratzt unter den Armen.
Die Hunde lassen sich nicht so leicht hinters Licht führen. Sie kommen angeschwänzelt. Das Geräusch ihrer Krallen auf dem Boden, klicketi-klicketi-klick. Sie achten nicht auf ihre starre, abweisende Haltung. Sie bohren ihre Nasen in ihren Bauch, drücken sie zwischen ihre Beine, schieben die Köpfe unter ihre Hände und verlangen, gestreichelt zu werden. Sie streichelt. Es ist eine grauenhafte Anstrengung. Sich so weit zu verschließen, dass sie sie liebkosen kann, ihr weiches Fell berühren, die Wärme des lebendigen, fließenden Blutes darunter.
»Geht ins Bett«, sagt sie mit fremder Stimme.
Und sie gehen ins Bett. Aber dann sind sie gleich wieder da und laufen herum.
Um halb acht steht sie auf. Spült die Kaffeetasse aus und stellt sie in die Spülmaschine. Dort sieht sie auf seltsame Weise verlassen aus.
Auf dem Hof machen die Hunde sofort Schwierigkeiten. Normalerweise springen sie gleich ins Auto, sie wissen, dass das einen langen Tag im Wald bedeutet. Aber jetzt rennen sie hin und her. Karelin stürzt davon und pisst zwischen den Johannisbeersträuchern. Der Preuße setzt sich auf sein Hinterteil und starrt sie an, während sie mit der Hand immer wieder auf die geöffnete Hecktür zeigt. Majken gibt sich als Erste geschlagen. Kommt mit eingekniffenem Schwanz über den Hofplatz gelaufen. Karelin und der Preuße springen hinter ihr her ins Auto.
Kotz-Morris hat nie Lust auf eine Autofahrt. Jetzt aber führt er sich schlimmer auf denn je. Lisa muss ihn jagen, sie flucht und schimpft, bis er stehen bleibt. Sie muss ihn zum Auto schleppen und zerren.
»Spring jetzt rein, verdammt noch mal«, brüllt sie und schlägt ihm auf die Flanke.
Und jetzt springt er hinein. Er hat begriffen. Das tun sie offenbar alle. Schauen sie durch das Fenster an. Sie setzt sich auf den Kuhfänger und ist total erschöpft. Dass sie als Letztes ihre Hunde zusammenstauchen würde, das hätte sie nicht erwartet.
Sie fährt zum Friedhof. Die Hunde müssen im Wagen bleiben. Sie geht zu Mildreds Grab. Wie immer gibt es viele Blumen, kleine Karten, sogar Fotos, die sich in der Feuchtigkeit wellen und aufquellen.
Sie kümmern
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