Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
dort auf. Katzenschwanz, Rainfarn, Wollgras, Butterblumen und Schafgarbe. Einige gekaufte rosafarbene Immortellen waren auch dabei, zu Lebzeiten der Großmutter hatte es so etwas nicht gegeben. Die gewebten Flickenteppiche der Großmutter auf dem Boden und als Kälteschutz auch auf der Küchenbank. Bestickte Decken überall, sogar auf der Nähmaschine in der Ecke. Bestickte Webbänder mit Taschen, in einer der Untersetzer, den Opa in der letzten Zeit seiner Krankheit aus Streichhölzern angefertigt hatte. Von der Großmutter genähte oder bestickte Kissenbezüge.
Ob ich hier wohl wohnen könnte, überlegte Rebecka.
Sie schaute auf die Wiese hinaus. Niemand schien mehr zu mähen oder zu flämmen. Das Gras wuchs in großen Büscheln durch eine Schicht aus verfaultem Gras des vergangenen Jahres. Es gab bestimmt Tausende von Wühlmauslöchern. Von hier oben konnte sie besser sehen, wie das Schuppendach durchsackte. Plötzlich wurde sie traurig. Ein Haus stirbt, wenn es verlassen wird. Es verwittert, es atmet nicht mehr. Es bekommt Risse, senkt sich, schimmelt.
Wo soll man anfangen, überlegte Rebecka. Allein die Fenster wären mehr als genug. Ich kann keine Dächer decken. Und den Balkon darf man nicht mehr betreten.
Dann bebte das Haus. Unten wurde mit der Tür geknallt. Das kleine Glockenspiel mit der Melodie zu Jiopa virkki puu visainen kielin kantelon kajasi tuota soittoa suloista erklang und ließ einige zarte Töne hören.
Sivvings Stimme schallte durch das Haus. Kam die Treppe hoch und drang durch die Tür.
»Hallo!«
Einige Sekunden darauf stand er im Türrahmen. Der Nachbar der Großmutter. In jeder Hinsicht groß gewachsen. Die Haare weiß und weich wie Wollgras. Weißgelbe Militärunterwäsche unter einer blauen Nylonjacke. Strahlendes Lächeln, als er Rebecka entdeckte. Sie sprang auf.
»Rebecka«, sagte er nur.
Mit zwei Schritten hatte er sie erreicht. Schloss sie in die Arme.
Sie hatten sich sonst nie umarmt, nicht einmal in Rebeckas Kinderzeit. Aber sie erstarrte jetzt nicht. Im Gegenteil. Sie schloss für die zwei Sekunden, die die Umarmung dauerte, die Augen. Ließ sich auf ein Meer der Ruhe hinaustreiben. Wenn man das Händeschütteln nicht mitrechnete, dann hatte kein Mensch sie mehr berührt, seit…ja, seit Erik Rydén sie zu dem Firmenfest auf Lidö willkommen geheißen hatte. Und vorher ein halbes Jahr lang niemand, seit der Blutprobe im Krankenhaus.
Dann war die Umarmung zu Ende. Aber Sivving Gjällborg hielt noch immer ihren linken Unterarm mit seiner Rechten umfasst.
»Wie geht es dir?«, fragte er.
»Gut«, sagte sie lächelnd.
Sein Gesicht wurde ernster. Er hielt sie noch einen Moment fest, dann ließ er sie los. Dann war sein Lächeln wieder da.
»Und du hast einen Kumpel mitgebracht.«
»Ja, das ist Teddy.«
Teddy war in ein Donaldheft vertieft gewesen. Schwer zu sagen, ob er es lesen konnte oder sich nur die Bilder ansah.
»Aber dann müsst ihr zum Kaffee rüberkommen, ich hab auch etwas sehr Schönes zum Angucken. Wie sieht es aus, Teddy? Saft und Rosinenbrötchen? Oder willst du lieber Kaffee?«
Teddy und Rebecka trotteten hinter Sivving her wie zwei Kälber.
Sivving, dachte Rebecka und lächelte. Das wird schon alles werden. Man muss sich ein Fenster nach dem anderen vornehmen.
Sivvings Haus lag auf der anderen Straßenseite. Rebecka erzählte, dass sie beruflich nach Kiruna gekommen sei und einen kurzen Urlaub angehängt habe. Sivving stellte keine unangenehmen Fragen. Warum sie nicht in Kurravaara wohnte, zum Beispiel. Rebecka registrierte, dass sein linker Arm kraftlos nach unten hing und er den linken Fuß nachzog, nicht sehr, aber doch merklich. Auch sie stellte keine Fragen.
Sivving hauste in seinem Heizungskeller. Da hatte er weniger sauber zu halten, und es war nicht so einsam. Nur wenn seine Kinder und Enkelkinder zu Besuch kamen, wurde der Rest des Hauses genutzt. Aber es war ein gemütlicher Heizungskeller. Geschirr und Hausrat, die er im Alltag brauchte, passten in ein braunes Hängeregal. Es gab ein Bett und einen kleinen Küchentisch mit Resopalplatte, einen Stuhl, eine Kommode und eine elektrische Kochplatte.
Auf dem Hundebett neben seinem Bett lag Sivvings Vorsteherhündin Bella. Und neben ihr lagen vier Welpen. Bella sprang eilig auf und begrüßte Rebecka und Teddy. Sie hatte aber nicht die Zeit, sich kurz die Schnauze streicheln zu lassen, sondern versetzte ihrem Herrchen zwei Stöße und ein Lecken.
»Schon gute, Alte«, sagte Sivving. »Also,
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