Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
sagen?
Natürlich hatte sie die Briefe nicht verbrannt oder weggeworfen. Wenn er nur davon gewusst hätte. Er merkte, dass er sich ziemlich über Stefan ärgerte, der ihm nichts davon gesagt hatte.
»Gibt es etwas, das ich wissen müsste?«, fragte er.
Stefan Wikström musterte seine Hände. Die Schweigepflicht konnte ein schweres Kreuz sein.
»Nein«, sagte er.
Bertil Stensson stellte zu seinem Erstaunen fest, dass sie ihm fehlte. Er war bestürzt und schockiert über den Mord gewesen. Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihm fehlen würde. Vermutlich war er ungerecht. Aber das, was ihm an Stefan bisher gefallen hatte. Dessen Diensteifer und…ach, es war ein lächerliches Wort, Stefans Bewunderung für seinen Vorgesetzten. Das alles kam ihm jetzt, wo Mildred nicht mehr da war, gefallsüchtig und belastend vor. Die beiden hatten einander ausgeglichen, seine kleinen Kinder. So hatte er sie oft gesehen. Auch wenn Stefan über vierzig war und Mildred schon die fünfzig hinter sich gelassen hatte. Vielleicht waren sie doch beide die Kinder des Probstes.
Ach, sie hatte einen wirklich reizen können. Und oft mit kleinen Mitteln.
Das Dreikönigsessen, zum Beispiel. Jetzt kam er sich kleinlich vor, weil er sich so geärgert hatte. Aber er hatte ja nicht gewusst, dass es Mildreds letztes sein würde.
Stefan und Bertil starren Mildreds Aufmarsch am Tisch zwischen ihnen wie verhext an. Es ist das kirchliche Dreikönigsessen, das seit einigen Jahren abgehalten wird. Stefan und Bertil sitzen Mildred gegenüber. Das Personal räumt nach dem Hauptgericht ab, und Mildred mobilisiert.
Zuerst hatte sie Soldaten für ihre kleine Armee geworben. Hatte mit der einen Hand den Salzstreuer und mit der anderen die Pfeffermühle gepackt. Hatte sie aufeinander zugeführt und sie dann abbiegen lassen, während sie wie versunken dem Gespräch zuhörte, bei dem es darum ging, dass die arbeitsintensive Weihnachtszeit nun zu Ende sei und gerade eine neue Erkältungswelle grassiere. Sie pulte an den Wachsrändern der Kerze herum. Schon da konnte Bertil sehen, dass Stefan sich fast an die Tischkante klammern musste, um ihr nicht den Kerzenhalter wegzureißen und zu brüllen: Fass doch nicht immer alles an!
Ihr Weinglas stand noch immer wie die Dame auf einem Schachbrett da und wartete auf den Einsatz.
Als Mildred dann anfängt, von der Wölfin zu reden, über die während der Weihnachtswoche die Zeitungen berichtet haben, schiebt sie Salz und Pfeffer zerstreut auf Bertils und Stefans Seite des Tisches hinüber. Auch das Weinglas wird jetzt in Bewegung gesetzt. Mildred berichtet, dass die Wölfin die russische und finnische Grenze überschritten hat, und das Glas jagt über den Tisch, so weit ihr Arm reicht, über alle möglichen Grenzen.
Sie redet weiter, mit vom Wein geröteten Wangen, und verschiebt die Gegenstände auf dem Tisch. Stefan und Bertil fühlen sich bedrängt und von ihren Bewegungen auf dem Tisch seltsam behindert.
Bleib auf deiner Seite, möchten sie rufen.
Sie erzählt, dass sie überlegt hat. Sie hat sich überlegt, dass die Kirche eine Stiftung zum Schutz der Wölfin gründen sollte. Die Kirche besitze doch Grund und Boden, also gehöre das in den Verantwortungsbereich der Kirche, findet sie.
Bertil ist vom Einfrauenschach auf der Tischdecke nicht unberührt geblieben und beißt um sich.
»Meiner Meinung nach soll die Kirche sich ihren eigentlichen Aufgaben widmen, Gemeindearbeit und nicht Forstwirtschaft. Rein prinzipiell, meine ich. Eigentlich dürften wir gar keinen Wald besitzen. Die Kapitalverwaltung sollten wir anderen überlassen.«
Mildred ist anderer Ansicht.
»Es ist unsere Aufgabe, die Erde zu verwalten«, sagt sie. »Wir sollen Boden besitzen und keine Aktien. Und wenn die Kirche Boden besitzt, kann sie ihn auf die richtige Weise verwalten. Jetzt ist diese Wölfin auf schwedisches Territorium und auf den Boden der Kirche gewandert. Wenn sie nicht beschützt wird, wird ihr kein langes Leben beschieden sein, das weißt du. Irgendein Jäger oder Rentierbesitzer wird sie erschießen.«
»Die Stiftung soll also…«
»Soll das verhindern, ja. Durch Geld und Zusammenarbeit mit den Naturschutzbehörden können wir die Wölfin markieren und überwachen.«
»Und auf diese Weise stößt du Menschen ab«, wendet Bertil ein. »Alle müssen Platz in der Kirche finden, Jäger, Samen, Wolfsfreunde – alle. Aber dann kann die Kirche nicht auf diese Weise Stellung beziehen.«
»Und was ist mit unserem
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