Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
sie ganz still und ruhig bleiben, vergisst Lisa sie vielleicht.
Und Mildred sitzt auf der Küchenbank und erklärt. Als sei das Problem, dass Lisa nicht begreift. Die Frauengruppe Magdalena will Frauen helfen, die finanziell gesehen untergegangen sind. Langzeitarbeitslosen, krankgeschriebenen Sozialhilfeempfängerinnen, hinter denen der Gerichtsvollzieher her ist und deren Küchenschublade voll gestopft ist mit Briefen von Inkassounternehmen und Behörden und Gott weiß von wem noch alles. Und jetzt weiß Mildred zufällig, dass Lisa bei der Gemeinde als Schulden- und Finanzplanungsberaterin angestellt ist. Mildred will, dass Lisa für diese Frauen einen Kurs abhält. Damit sie Ordnung in ihre Finanzen bringen können.
Lisa will ablehnen. Will sagen, dass Menschen ihr wirklich egal sind. Dass ihr ihre Hunde, Katzen, Ziegen, Schafe, Lämmer wichtig sind. Die Elchkuh, die im vergangenen Winter bei ihr war, fast zum Skelett abgemagert, und die sie dann aufgepäppelt hat.
»Die würden ja doch nicht kommen«, sagt Lisa.
Sie schneidet Bruno die letzte Kralle. Er bekommt einen Klaps und verschwindet zur restlichen Meute in die Diele. Lisa erhebt sich.
»Sie sagen, ja, ja, klasse, wenn du sie einlädst«, fügt sie hinzu. »Aber dann lassen sie sich nicht blicken.«
»Abwarten«, sagt Mildred und kneift die Augen zusammen.
Dann verzieht sie ihren Himbeermund zu einem strahlenden Lächeln. Eine Reihe kleiner Zähne, wie bei einem Kind.
Lisas Knie geben nach, sie schaut in eine andere Richtung, sagt: »Ja, ich werde schon kommen«, um die Pastorin loszuwerden, ehe sie umkippt.
Drei Wochen später steht Lisa vor einer Gruppe von Frauen und redet. Zeichnet an eine weiße Wandtafel. Kreise und Tortendiagramme, rot, grün und blau. Schielt zu Mildred hinüber, wagt kaum, sie anzusehen. Sieht also lieber die Zuhörerinnen an. Haben sich nicht unbedingt fein gemacht, Gott bewahre. Billige Blusen. Verfilzte Jacken. Billiger Modeschmuck. Die meisten hören freundlich zu. Andere starren Lisa fast hasserfüllt an, als sei es ihr Fehler, dass es ihnen so schlecht geht.
Nach und nach wird sie in andere Projekte der Frauengruppe hineingezogen. Das Tempo reißt sie einfach mit. Eine Zeit lang besucht sie sogar die Bibelgruppe. Aber das geht dann doch nicht mehr. Sie kann Mildred nicht ansehen, denn dann hat sie das Gefühl, dass die anderen in ihrem Gesicht lesen wie in einem aufgeschlagenen Buch. Sie muss Mildred aber die ganze Zeit ansehen, und auch das fällt auf. Sie weiß nicht, wohin sie blicken soll. Hört nicht, worüber gesprochen wird. Lässt ihren Stift fallen und fällt auf. Am Ende geht sie nicht mehr hin.
Sie macht einen Bogen um die Frauengruppe. Die Unruhe ist wie eine unheilbare Krankheit. Sie wird mitten in der Nacht wach. Denkt die ganze Zeit an die Pastorin. Sie fängt an zu laufen. Dutzende von Kilometern. Zuerst auf den Landstraßen. Dann trocknen die Wiesen, und sie kann durch den Wald laufen. Sie fährt nach Norwegen und kauft noch einen Hund, einen Springerspaniel. Der hält sie auf Trab. Sie kittet die Fenster und leiht nicht mehr die Egge des Nachbarn aus, sie gräbt an den hellen Maiabenden das Kartoffelfeld mit der Hand um. Ab und zu glaubt sie, im Haus das Telefon klingeln zu hören, geht aber nicht hin.
»Gib mir das Bild, Teddy«, sagte Lisa und versuchte, ihre Stimme ganz neutral klingen zu lassen.
Teddy hielt das Bild mit beiden Händen fest. Sein Lächeln reichte von einem Ohr zum anderen.
»Ilred«, sagte er. »Schaukel.«
Lisa starrte ihn an und nahm ihm das Bild weg.
»Ja, ich glaube schon«, sagte sie endlich.
Zu Rebecka sagte sie, ein wenig zu schnell, aber Rebecka schien das nicht aufzufallen: »Mildred hat Teddy konfirmiert. Und dieser Konfirmandenunterricht war ziemlich…unkonventionell. Sie wusste, dass er ein Kind war, deshalb haben sie oft auf dem Spielplatz geschaukelt und sind mit dem Boot gefahren und haben Pizza gegessen. Oder, Teddy, du und Mildred, ihr habt Pizza gegessen. Quattro Stagione, was?«
»Er hat heute drei Portionen Fleischsuppe verputzt«, sagte Rebecka.
Teddy ging auf den Hühnerstall zu. Rebecka rief einen Abschiedsgruß hinter ihm her, aber den schien er nicht gehört zu haben.
Lisa schien auch nicht zu hören, als Rebecka sich verabschiedete und sich auf den Weg zu ihrer Hütte machte. Sie antwortete zerstreut, schaute hinter Teddy her.
Lisa schlich Teddy hinterher wie ein Fuchs seiner Beute. Der Hühnerstall lag auf der Rückseite des
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