Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
und hört sich seinen Spruch an. Über sein unglückliches Leben. Die unglückliche und verratene Liebe. Und Teddy.
»Verzeihung«, murmelt Lars-Gunnar in seine Faust. »Ich hätte nicht herkommen dürfen.«
»Ist schon gut«, sagt sie zögernd. »Red nur, ich kann so lange…«
Ihr fällt nichts ein, was sie machen könnte, aber sie muss etwas unternehmen, um nicht einfach aus dem Haus zu stürzen.
»…das Essen für morgen vorbereiten.«
Also redet er, während sie Fleisch und Gemüse für einen Eintopf schneidet. Mitten in der Nacht. Sellerieknollen und Karotten und Porree und Rüben und Kartoffeln und den Teufel und seine Großmutter. Aber Lars-Gunnar scheint das überhaupt nicht seltsam zu finden. Er hat genug mit sich selbst zu tun.
»Ich musste von zu Hause weg«, gesteht er. »Ehe ich…ich bin nicht nüchtern, das gebe ich zu. Ehe ich mit dem Gewehr an Teddys Kopf auf seiner Bettkante ende.«
Lisa sagt nichts. Schneidet Karotten, als habe sie nichts gehört.
»Ich habe mir überlegt, wie das werden soll«, seufzt er. »Wer soll sich um ihn kümmern, wenn ich nicht mehr da bin? Er hat doch niemanden sonst.«
Und das stimmt ja, dachte Lisa.
Sie hatte jetzt ihr Hexenhäuschen oben auf dem Hügel erreicht. Der Mond legte eine dünne Silberschicht über das Schnitzwerk an Veranda und Fensterrahmen.
Sie ging die Treppe hoch. Die Hunde bellten und sprangen drinnen wie wahnsinnig herum. Sie hatten ihre Schritte erkannt. Als sie aufmachte, flogen sie aus der Tür, um an der Grundstücksgrenze ihre Abendpinkelrunde zu machen.
Sie ging ins Wohnzimmer. Alles, was es dort gab, waren das klaffend leere Bücherregal und das Sofa.
Teddy hat niemanden, dachte sie.
GELBBEIN
ES WIRD FRÜHLING. Einzelne Schneeflocken unter den blaugrauen Tannen und den kerzengeraden Kiefern. Warme Brise von Süden. Die Sonne sickert durch das Astwerk. Überall rascheln kleine Tiere durch das Gras des Vorjahres. In der Luft treiben Hunderte von Düften umher wie in einem großen Tiegel. Harz und frisch gesprungene Birke. Warme Erde. Offenes Wasser. Niedliche Hasen. Listige Füchse.
Die Rudelwölfin gräbt in diesem Frühjahr einen neuen Bau. Es ist ein altes Fuchsloch, das zweihundert Meter oberhalb eines Weihers an einem Südhang liegt. Im Sandboden lässt es sich leicht graben, aber die Rudelwölfin hat doch genug damit zu tun, den Gang zum Fuchsbau so zu erweitern, dass sie hindurchpasst, allen alten Abfall aus der Zeit der Füchse zu entfernen und drei Meter unter dem Hang eine Wohnkammer auszugraben. Gelbbein und die anderen Wölfinnen haben ab und zu helfen dürfen, aber das meiste hat sie selbst gemacht. Jetzt verbringt sie ihre Tage in der Nähe des Baus. Liegt vor der Öffnung in der Sonne und döst. Die anderen Wölfe bringen ihr Fressen. Wenn das Alphamännchen etwas bringt, erhebt sie sich und geht ihm entgegen. Leckt ihn und knurrt hingebungsvoll, ehe sie die Gaben verschlingt.
Dann geht die Rudelwölfin eines Morgens in den Bau und kommt an diesem Tag nicht mehr zum Vorschein. Am späten Abend presst sie die Jungen aus sich heraus. Verschlingt alle Häutchen, Nabelschnüre und Mutterkuchen. Schiebt sich die Welpen unter den Bauch. Sie braucht kein Totgeborenes hinauszutragen. Fuchs und Rabe müssen auf diese Mahlzeit verzichten.
Das restliche Rudel lebt draußen sein Leben. Reißt vor allem kleine Beutetiere, hält sich in der Nähe. Ab und zu hören sie ein leises Fiepen, wenn ein Wolfsjunges in die falsche Richtung gekrabbelt ist. Oder wenn es von seinen Geschwistern weggestupst worden ist. Nur das Alphamännchen darf in den Bau kriechen und der Rudelwölfin Fressen hinspucken.
Nach drei Wochen und einem Tag trägt die Rudelwölfin die Jungen zum ersten Mal aus dem Bau. Fünf Stück. Die anderen Wölfe wissen vor Freude nicht mehr ein noch aus. Vorsichtig begrüßen sie sie. Beschnüffeln sie, stupsen sie an. Lecken die kugelrunden Bäuche der Kleinen und die Haut unter ihren Schwänzen. Nach kurzer Zeit schon trägt die Rudelwölfin sie wieder in den Bau. Die Kleinen sind von den vielen Eindrücken schon total erschöpft. Die beiden Einjährigen machen einen glücklichen Abstecher in den Wald und jagen einander.
Jetzt beginnt für das Rudel eine wunderbare Zeit. Alle wollen sich an der Pflege der Kleinen beteiligen. Die spielen unermüdlich. Und ihre Verspieltheit steckt alle an. Sogar die Rudelwölfin lässt sich zum Tauziehen mit einem alten Zweig verführen. Die Kleinen wachsen und haben immer Hunger.
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