Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
dort zum Weihnachtspunsch eingeladen. Eine interessante Mischung von Leuten war dabei herausgekommen, die geladenen Familien, Mildred selbst, ihr Mann mit Bart und Schürze, wie eine Parodie auf den Pantoffelhelden, und die drei Frauen, die damals gerade im Pfarrhaus von Poikkijärvi Zuflucht gesucht hatten. Eine dieser Frauen hatte zwei Kinder gehabt, bei denen zweifellos alle existierenden Buchstabenkombinationen diagnostiziert werden konnten.
Aber Mildreds Haus, das hatte ausgesehen wie ein Gemälde von Carl Larsson. Die gleiche helle Leichtigkeit, gepflegt, aber nicht überladen, die gleiche geschmackvolle Schlichtheit wie in Stefans Elternhaus. Stefan hatte das nicht mit Mildreds Wesen in Einklang bringen können. So wohnt sie also, hatte er gedacht. Er hatte mit einem bohemehaften Chaos gerechnet, mit Stapeln von Zeitungsartikeln in Lagerregalen, mit orientalischen Kissen und Teppichen.
Ihm fiel ein, wie Kristin damals reagiert hatte. »Warum wohnen nicht wir im Pfarrhaus von Poikkijärvi«, hatte sie gefragt. »Das ist größer, es wäre für uns besser geeignet, wir haben ja schließlich Kinder.«
Sicher hatte seine Mutter gemerkt, dass diese Zerbrechlichkeit in Kristin, die Stefan so anzog, nicht nur zerbrechlich war, sondern auch brüchig. Es war etwas Zerbrochenes und Spitzes, an dem Stefan sich früher oder später verletzen würde.
Ihn überkam eine plötzlich auflodernde Wut auf seine Mutter.
Warum hat sie nichts gesagt, fragte er sich. Sie hätte mich warnen müssen.
Und Mildred. Mildred, die die arme Kristin benutzt hatte.
Er musste an den Tag Anfang Mai denken, als sie diese Briefe geschwenkt hatte.
Er versuchte, sich Mildred aus dem Kopf zu schlagen, Aber sie war genauso aufdringlich wie damals. Trampelte los. Genau wie damals.
»Schön«, sagt Mildred und stürzt in Stefans Büro.
Es ist der 5 . Mai. In knapp zwei Monaten wird sie tot sein. Jetzt aber ist sie mehr als lebendig. Ihre Wangen und ihre Nase sind rot wie frisch polierte Äpfel. Sie schließt die Tür hinter sich mit einem Tritt.
»Nein, bleib sitzen«, sagt sie zu Bertil, der aus dem Besuchersessel zu fliehen versucht. »Ich will zu euch beiden sprechen.«
Zu euch sprechen. Was soll man zu so einer Einleitung sagen? Allein die macht doch deutlich, wie Mildred sein konnte.
»Ich habe über die Sache mit der Wölfin nachgedacht«, sagt sie nun.
Das eine Knie von Bertil schiebt sich über das andere. Die Arme verschränken sich auf seiner Brust. Stefan lässt sich in seinem Sessel zurücksinken. Weg von ihr. Sie fühlen sich zurechtgewiesen und zusammengestaucht, obwohl Mildred noch nicht einmal gesagt hat, was sie auf dem Herzen hat.
»Die Kirche verpachtet ihren Grundbesitz an den Jagdverein von Poikkijärvi für tausend Kronen im Jahr«, sagt sie nun. »Die Vereinbarung gilt für sieben Jahre und verlängert sich automatisch, wenn sie nicht gekündigt wird. Das ist seit 1957 so. Da wohnte der damalige Probst im Pfarrhaus von Poikkijärvi. Und der war ein begeisterter Jäger.«
»Aber was hat das mit…«, setzt Bertil an.
»Lass mich ausreden! Natürlich kann alle Welt in den Verein eintreten, aber die Vereinsleitung und die Jagdgesellschaft haben den alleinigen Nutzen der Pacht. Und da die Jagdgesellschaft aufgrund ihrer Statuten nur zwanzig Mitglieder haben darf, kommen keine neuen dazu. Eigentlich wird erst ein neues Mitglied gewählt, wenn eins stirbt. Und die Vereinsleitung gehört natürlich der Gesellschaft an. In den vergangenen dreizehn Jahren ist nicht ein einziges neues Mitglied dazugekommen.«
Sie verstummt und starrt Stefan an.
»Außer dir, natürlich. Als Elis Wiss freiwillig ausgetreten ist, bist du gewählt worden, das war vor sechs Jahren, nicht?«
Stefan gibt keine Antwort, das liegt daran, wie sie das Wort »freiwillig« ausgesprochen hat. Er wird innerlich ganz weiß vor Zorn. Mildred redet weiter:
»Gemäß den Statuten darf nur die Jagdgesellschaft Kugelwaffen benutzen, und deshalb hat die Jagdgesellschaft die gesamte Elchjagd mit Beschlag belegt. Was die übrige Jagd angeht, da können andere Mitglieder des Jagdvereins Tageskarten kaufen, aber alles, was erlegt wird, wird unter den Aktiven im Verein verteilt, und dabei entscheidet – surprise! – die Vereinsleitung, wie die Verteilung geschehen soll. Ich denke also so: Sowohl die Grubengesellschaft LKAB als auch Yngve Bergqvist interessieren sich für die Jagd. Die LKAB für ihre Angestellten und Yngve für Touristen. In beiden Fällen
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