Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
ein Lächeln abrang und den Kopf schüttelte.
Die tote Mildred war einfach nicht zu besiegen. In der Fremde war sie zum Lieblingskind des Vaters geworden.
Jetzt würde der Gottesdienst bald zu Ende sein. Sie sangen noch einen letzten Choral und gingen hin in Frieden.
Stefan hätte jetzt auch gehen sollen. Einfach aus der Kirche und nach Hause. Aber er schaffte es nicht, seine Füße trugen ihn auf Bertil zu.
Der plauderte gerade mit einem Gottesdienstbesucher, schaute Stefan kurz von der Seite an, ließ ihn aber nicht am Gespräch teilnehmen. Stefan musste warten.
So schlimm war es jetzt. Wenn Bertil ihn nur begrüßt hätte, dann hätte Stefan sich für den Gottesdienst bedanken und gehen können. Jetzt sah es aus, als habe er etwas auf dem Herzen. Nun musste er sich ein Anliegen aus den Fingern saugen.
Endlich ging der redselige Gottesdienstbesucher. Stefan fühlte sich gezwungen, seine Anwesenheit zu erklären.
»Ich hatte das Gefühl, das Abendmahl zu brauchen«, sagte er zu Bertil.
Bertil nickte. Der Küster trug Wein und Oblaten hinaus und schaute kurz zum Probst hinüber. Stefan folgte Bertil und dem Küster in die Sakristei und beteiligte sich, ohne dazu eingeladen worden zu sein, am Gebet über Brot und Wein.
»Hast du etwas von dieser Kanzlei gehört?«, fragte er, als sie ihr Gebet beendet hatten. »Über die Wolfsstiftung und so?«
Bertil streifte Talar, Stola und Albe ab.
»Ich weiß nicht«, sagte er. »Vielleicht werden wir sie doch nicht auflösen. Ich habe mich noch nicht entschieden.«
Der Küster ließ sich ungeheuer viel Zeit damit, den Wein in die Piscina zu stellen und die Oblaten im Ziborium zu verstauen. Stefan knirschte mit den Zähnen.
»Ich dachte, wir hätten uns geeinigt, dass die Kirche keine solche Stiftung unterhalten darf«, sagte er leise.
Und außerdem hat das doch der Gemeindevorstand zu entscheiden und nicht du allein, dachte er.
»Ja, ja, aber bis auf weiteres existiert sie eben«, sagte der Probst, und jetzt hörte Stefan aus der milden Stimme eine deutliche Ungeduld heraus. »Ob ich also finde, wir sollten uns den Schutz der Wölfin leisten, oder ob ich meine, dass das Geld der Weiterbildung dienen soll, ist eine Frage, die wir später im Herbst aufgreifen werden.«
»Und die Verpachtung des Jagdreviers?«
Jetzt lächelte Bertil strahlend.
»Ach, du und ich wollen uns doch darüber nicht den Kopf zerbrechen. Das wird der Gemeindevorstand entscheiden, wenn die Zeit dafür reif ist.«
Der Probst klopfte Stefan auf die Schulter und ging.
»Bestell Kristin einen schönen Gruß«, rief er, ohne sich umzusehen.
Stefan spürte einen Kloß im Hals. Er schaute seine Hände an, die steifen langen Finger. Echte Pianistenhände, hatte seine Mutter immer gesagt. Später, in ihrer Wohnung im Seniorenheim, als sie ihn sehr oft mit dem Vater verwechselt hatte, hatte dieses Gerede über seine Finger ihn gequält. Sie hielt seine Hände fest und befahl dem Pflegepersonal, sich die anzusehen, seht euch diese Hände an, keine Spur von körperlicher Arbeit. Pianistenfinger, Schreibtischfinger.
Bestell Kristin einen schönen Gruß.
Wenn er es nun endlich wagte, die Dinge so zu sehen, wie sie sich eben verhielten, dann würde die Heirat mit ihr als der große Fehler seines Lebens erscheinen.
Stefan spürte, wie er innerlich hart wurde. Er verhärtete sich gegen Bertil und gegen seine Frau.
Ich habe sie lange genug getragen, dachte er. Das muss jetzt ein Ende haben.
Seine Mutter musste das mit Kristin begriffen haben. Was ihm an Kristin gefallen hatte, war ihre Ähnlichkeit mit der Mutter gewesen. Die kleine, puppenhafte Gestalt, ihr angenehmes Wesen, ihr guter Geschmack.
Natürlich hatte seine Mutter das gesehen. »Wie persönlich«, hatte sie über Kristins Wohnung gesagt, als sie die Freundin des Sohnes zum ersten Mal besuchte, »gemütlich«. Damals hatte er in Uppsala studiert. Gemütlich und persönlich, zwei gute Wörter, bei denen man Zuflucht sucht, wenn man nicht, ohne zu lügen, »schön« oder »geschmackvoll« sagen kann. Und ihm fiel das fast belustigte Lächeln der Mutter ein, als Kristin ihre Arrangements aus Immortellen und getrockneten Rosen vorgeführt hatte.
Nein, Kristin war ein Kind, das einigermaßen gut imitierte und nachahmte. Sie war niemals die Art von Pastorenfrau geworden, die seine Mutter gewesen war. Und was war es für ein Schock gewesen, als er das erste Mal das Haus der chaotischen Mildred betreten hatte. Alle Kollegen samt Familien waren
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