Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg
Hofplatz vor ihrem grauen Eternithaus aus dem Auto stieg, fing es an zu schneien. Flaumleichte Sterne, die glitzerten, als sie im Schein der Lampen an Stallwand und Haustür nach unten rieselten.
Rebecka blieb stehen, streckte die Zunge heraus, breitete die Arme aus, kehrte ihr Gesicht nach oben, schloss die Augen, sie spürte, wie die weichen Flocken auf ihren Wimpern und auf ihrer Zunge landeten. Aber es fühlte sich anders an als früher, als sie klein war. Das war, wie Engel in den Schnee zu malen, auch das war phantastisch, wenn man Kind war. Wenn man es später noch einmal versuchte, bekam man nur Schnee in den Kragen.
Er ist nichts für mich, dachte sie, öffnete die Augen wieder und schaute hinunter zum Fluss, der sich jetzt in Dunkelheit hüllte, in einigen Häusern auf der anderen Seite der Bucht brannte Licht.
Er denkt nicht an mich, dass er E-Mails schreibt, hat nichts zu bedeuten.
Im Laufe des Nachmittags hatte sie sicher zwanzig Mails an Måns Wenngren geschrieben und sie dann allesamt gelöscht. Sie wollte nicht zu eifrig wirken.
Vergiss es, versuchte sie sich zu ermahnen. Er hat kein Interesse.
Aber ihr Herz setzte sich trotzig zur Wehr.
Doch, sagte es und legte ihr Bilder vor, die sie sich ansehen sollte. Måns und Rebecka im Ruderboot. Sie rudert. Er lässt eine Hand ins Wasser hängen. Er hat die Ärmel seines weißen Bürohemdes aufgekrempelt. Sein Gesicht ist weich und entspannt. Danach: Rebecka auf dem Boden, in der Kammer vor dem Kamin. Måns zwischen ihren Beinen.
Als sie sich auszog, um das Bürokostüm durch Jeans und Pullover zu ersetzen, musterte sie sich im Spiegel. Blass und dünn. Die Brüste waren zu klein. Und hatten sie nicht eine reichlich seltsame Form? Nicht wie zwei kleine Hügel, sondern eher wie zwei umgedrehte Eistüten. Sie fühlte sich plötzlich schrecklich verlegen und fremd diesem Körper gegenüber, den keiner wollte und in dem kein Kind hatte heranwachsen dürfen. Sie zog sich ganz schnell wieder an.
Sie goss sich einen Whisky ein, setzte sich an den alten Klapptisch ihrer Großmutter in der Küche, trank größere Schlucke als sonst. Der Whisky landete warm in ihrem Magen, und die Gedanken hörten auf, in ihrem Kopf so entsetzlich zu bohren.
Zuletzt richtig verliebt gewesen war sie … in Thomas Söderberg, und das müsste doch einiges über ihre Fähigkeit bei der Auswahl von Männern verraten. Daran wollte sie also lieber nicht denken.
Seither hatte sie durchaus den einen oder anderen Liebhaber gehabt, allesamt Kommilitonen. Keinen, den sie sich selbst ausgesucht hatte. Sie hatte sich zum Essen einladen und küssen lassen und war dann im Bett gelandet. Trist und vorhersagbar schon von Anfang an. Sie hatte sie alle verachtet, weil sie solche Milchbubis waren, die Knaben aus der Mittelklasse, allesamt überzeugt davon, dass sie bessere Noten bekommen würden als Rebecka, wenn sie sich nur Mühe gäben. Sie verachtete ihren lächerlichen Aufruhr gegen ihre Eltern, der in mäßigem Drogenkonsum und etwas weniger mäßigem Konsum von Alkohol bestand. Sie verachtete ihre Illusion, anders zu sein. Sie verachtete sogar ihre Verachtung des Spießertums, ehe sie selbst anfingen zu arbeiten und heirateten und selbst Spießer wurden.
Und jetzt Måns. Man nehme vornehmes Internat, erlesene Kunst, Arroganz, Alkohol und juristische Schärfe, gieße alles in einen Männerkörper und rühre sorgfältig um.
Papa konnte sein Glück sicher nicht glauben, als Mama sich für ihn entschied. So stellte sie sich vor, wie es gewesen sein musste. Mama entschied sich für Papa, wie man eine Frucht von einem Baum pflückt.
Rebecka überkam die plötzliche Lust, sich Bilder von der Mutter anzusehen. Nach Großmutters Tod hatte sie alle Bilder der Mutter aus dem Fotoalbum der Großmutter gerissen.
Sie stieg in ihre Stiefel und lief hinüber zu Sivving.
Unten in Sivvings Heizungskeller hing noch der schwere Geruch von Würstchen. Im Regal an der Wand standen ein frisch gespülter Teller, ein Glas und ein Aluminiumtopf umgedreht auf einem rot karierten Küchenhandtuch. Sivving lag auf dem aufgeschlagenen Bett und schlief mit der Zeitung über dem Gesicht. In seiner einen Wollsocke klaffte ein großes Loch. Rebecka fühlte sich seltsam gerührt, als sie ihn sah.
Bella sprang auf und hätte vor Glück über diesen Besuch fast den Stuhl umgestoßen. Rebecka kraulte sie, und das rhythmische Klopfen von Bellas Schwanz gegen den Küchentisch und ihr entzücktes Fiepen weckten Sivving
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