Rebecka Martinsson 04 - Bis dein Zorn sich legt
schon hingefahren. Man fragt sich ja, warum die mich nicht angerufen haben, aber auch darauf scheiß ich jetzt.«
Sven-Erik wird stocksauer sein, dachte sie. Wütend, weil ich ihm nicht gesagt habe, dass ich gestern zu Hjörleifur gefahren bin.
Wilma Persson wurde am 28. April um zehn Uhr morgens begraben. Die Trauergemeinde versammelte sich auf dem Friedhof um das Grab. Hjalmar Krekula schaute sich um. Er hatte am Morgen nicht einmal seinen dunklen Anzug hervorgenommen. Er war schon seit ewigen Jahren daraus herausgewachsen.
Er hatte vor dem Spiegel in der Toilette gestanden, sich rasiert und gedacht, das hier schaffe ich nicht. Mehr kann ich jetzt nicht ertragen.
Danach hatte er zum Frühstück einen ganzen Laib Brot in Scheiben geschnitten. Sie dick mit Butter bestrichen. Im Stehen an der Anrichte gegessen. Am Ende war er ruhiger geworden. Sein Herz hatte nicht mehr so gehämmert.
Jetzt stand er bei dem Sarg in der Grube und fühlte sich fehl am Platz in seiner Tarnhose und -jacke, auch wenn er immerhin so gescheit gewesen war, nicht seine Arbeitsjacke zu nehmen. Es waren sehr viele Jugendliche da, jeder mit einer roten Rose in der Hand, um sie auf den Sarg zu legen. Die vielen schwarzen Kleider und der Schmuck in Augenbrauen und Nasen und Lippen, diese viele schwarze Schminke um die Augen, all das konnte ihre glatte Haut, ihre runden Wangen nicht verbergen.
So jung, dachte er. Allesamt so jung. Und Wilma auch.
Von Erde bist du gekommen.
Wilmas Mutter war aus Stockholm gekommen. Sie weinte laut. Schrie immer wieder: »Ach, Herrgott.« Eine Schwester hielt ihren einen Arm, eine Kusine den anderen.
Anni stand mit zusammengekniffenem Mund da wie ein trockenes Blatt Herbstlaub. Für ihre Trauer schien kein Platz zu sein. Wilmas Mutter nahm allen Raum ein mit ihrem schrillen Geschrei und ihrem lauten Weinen. Er wurde wütend, Annis wegen. Merkte, dass er gern dieses Geschrei entfernt hätte. Damit Anni weinen könnte.
Da lag sie im Sarg.
Die Gedanken drängten sich jetzt. Er musste bald weg von hier. Ehe er auch anfing, vor aller Ohren zu schreien.
Vor Kurzem noch waren ihre Wangen so rund gewesen wie die der Mädchen, die ein Stück weiter entfernt standen und einander an den Händen hielten. Er wagte nicht, sie anzusehen. Wusste, wie ihre Blicke aussehen würden, wenn sie ihn dabei ertappten, wie er zu ihnen hinüberschaute: fettes Ekel, Pädo.
Vor Kurzem noch hatte Wilma an seinem Küchentisch gesessen. Ihre Haare, so rot wie die aller Frauen der Familie, ihrer Mutter, der Großmutter, der Urgroßmutter Anni und seiner eigenen Mutter, Kerttu. Wilmas rote Haare, die zu beiden Seiten des Gesichts herabfielen, während sie mit den Mathezahlen kämpfte. Sie redete mit ihm wie, ja, wie einfach mit irgendwem.
Danach.
Ihre hämmernden Fäuste unter seinen Füßen dort auf dem Eis.
Jetzt klopfte sie gegen den Sargdeckel. Im Inneren seines Schädels.
Bald ist es vorbei, dachte er. Von außen ist es nicht zu sehen.
Danach, beim Kaffee, verputzte er eine Menge belegter Brote. Er merkte, wie die Leute ihn ansahen. Dass sie dachten, er solle sich zusammennehmen, es sei kein Wunder, dass er so fett war.
Sollen sie doch glotzen, dachte er und stopfte sich Zuckerstücke in den Mund, die er zerkaute und schmelzen ließ. Das linderte, das erleichterte. Das Essen stimmte ihn ruhiger.
POLIZEIINSPEKTOR TOMMY RANTAKYRÖ hockte auf Hjörleifur Arnarsons Hofplatz und streichelte Hjörleifurs Hund, als Anna-Maria und Rebecka das Schneemobil ein Stück vom Haus entfernt abstellten.
Er erhob sich und kam auf die beiden zu.
»Sie weigert sich, sich von der Stelle zu rühren«, sagte er und nickte zu der Hündin hinüber.
Anna-Maria registrierte verärgert, dass die Kollegen ihr Schneemobil genau vor der Vortreppe geparkt hatten.
»Fährst du das Schneemobil weg«, sagte sie kurz zu Tommy Rantakyrö. »Wir müssen hier absperren, damit die Techniker Spuren sichern können. Wie viele haben die Türklinke angefasst?«
Tommy Rantakyrö zuckte mit den Schultern.
Anna-Maria stapfte ins Haus.
Rebecka ging zu dem Hund.
»Hallo, Süße«, sagte sie sanft und streichelte die Brust des Tieres. »Du kannst nicht hierbleiben, verstehst du.«
»Wir müssen sie einschläfern lassen«, sagte Tommy Rantakyrö.
Ja, dann muss es wohl so sein, dachte Rebecka.
Sie streichelte die dreieckigen Ohren des Hundes, die sehr weich waren, das eine aufgerichtet, das andere abgeknickt. Die Hündin war schwarz mit weißer Zeichnung und hatte
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