Rebella - Verliebt oder was?
selbst dermaßen zum Narren gehalten und geglaubt, er
könnte sich in ein Mädchen wie mich verlieben? Hätte ich es
nicht kommen sehen müssen? Ich wusste doch, dass er Julia
geküsst hatte, warum sollte er das nicht wieder tun?
Ich nehme mein Handy und öffne den Posteingang.
Es reicht. Eigentlich war mir immer klar, dass Raoul Julia
will. Dass ich mir selbst weisgemacht habe, er sei in mich verliebt,
ist meine eigene Schuld. Das kommt davon, wenn man
so naiv ist.
Ich hole tief Luft und lösche nacheinander jede seiner SMS.
Es reicht wirklich.
»Nach der Trauer und der Wut kommt die Müdigkeit«, hat
Lynn mal gesagt. Und sie hat recht. Das Einzige, was ich jetzt
noch will, ist schlafen. Schlafen und erst in einem Jahr wieder
aufwachen. Ich habe zu nichts Lust. Nicht auf Essen, nicht
auf eine Dusche, nicht darauf, aufzustehen und mich anzuziehen.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass mich jemals wieder
interessieren wird, wie ich aussehe. Ich werde nie mehr
auf Partys gehen und zur Schule komme ich nur noch mit
fettigen Haaren und in Jogginghose. Es interessiert mich alles
null. Ich lasse die Vorhänge in meinem Zimmer den ganzen
Tag geschlossen.
Irgendwann kommt meine Mutter und fragt, ob ich nicht
kurz frische Luft schnuppern wolle.
›Frische Luft schnuppern‹, das sagt sie wirklich. Ich mache
mir nicht mal die Mühe, ihr zu erklären, wie hoffnungslos
altmodisch dieser Ausdruck ist. Sie will mein Bett neu beziehen
und mein Zimmer lüften. Aber ich will überhaupt nichts
mehr.
Am nächsten Tag gehe ich ungeduscht nach unten. Ich habe
bis vier Uhr nachmittags geschlafen und zum ersten Mal seit
Tagen ein leeres Gefühl im Magen.
In der Küche steht meine Mutter mit rotem Kopf an der
Anrichte.
»Hallo, mein Schatz«, sagt sie, ohne aufzusehen. »Hast du
heute ein wenig mehr Appetit?«
»Ein bisschen.« Ich zucke mit den Schultern.
Mit der flachen Hand schlägt sie mit voller Kraft auf einen
Klumpen rohes Fleisch. Sie nimmt ein wenig davon und rollt
eine Kugel daraus.
»Was machst du da?«, frage ich.
Mit dem Unterarm schiebt sie sich eine Haarsträhne aus
der Stirn. Sie grinst übers ganze Gesicht. »Ich habe doch
gesagt, ich mache Hackfleisch aus ihm.«
»Du glaubst diesen Quatsch doch nicht etwa, oder?«
Nick hält ein Blatt Papier in die Höhe. In fetten Buchstaben
steht oben auf der Seite:
Geht dein Freund fremd? Das
sind die zehn Zeichen!
Lynn hatte sie gestern für mich ausgedruckt, zusammen
mit der Checkliste
Zehn Gründe, weshalb dein Ex nicht das
große Los war!
und der Checkliste
Fremdgegangen? Die Top
Ten der Ausreden!
Der Topper war da übrigens: ›Wir gehen
doch nicht miteinander, oder?‹ Gute Chancen, dass Raoul
mir das ins Gesicht sagt.
»Aber wenn es doch stimmt!« Mit dem Löffel ziehe ich
Muster in meine Tomatensuppe. Von dem Geruch wird mir
ganz schlecht, aber ich weigere mich, wegen Raoul eine Essstörung
zu bekommen. Mir geht es schon mies genug.
»Er hat auch immer nur vage Auskunft über sein Liebesleben
gegeben. Und als ich ihn beim Lügen erwischt habe,
hatte er plötzlich unheimlich viel mit anderen Dingen zu tun.
Wie zum Beispiel Julia küssen. Das sind noch zwei Punkte
auf der Liste, die passen.«
»Du weißt ja nicht mal sicher, ob er Julia geküsst hat.«
Ich lasse den Löffel in die Suppentasse scheppern. »Ach
nein? Lynn hat sie doch mit eigenen Augen gesehen! Warum
sollte sie lügen?«
»Hast du mal mit Raoul darüber gesprochen?«
Ich ziehe die Knie an und lege den Kopf auf die Arme.
»Hab ich keine Lust drauf.«
»Du machst es dir aber einfach«, schnaubt Nick.
»Hey!«, rufe ich scharf. »Für wen bist du eigentlich?«
Nick hebt die Hände. »Ich sage ja nur, dass du vielleicht erst
mal mit Raoul reden solltest. Ihn seine Seite der Geschichte
erzählen lassen.«
»Es gibt nicht
seine Seite der Geschichte!
Erst bringt er Julia
letzte Woche Samstag nach Hause und erzählt mir nichts
davon. Dann sagt er abends, er würde nicht weggehen, und
tut es heimlich doch und – oh, ich bin noch nicht fertig – zu
guter Letzt sieht Lynn ihn mit Julia auf dem Schoß. Küssend!«
Ich trete gegen eine DVD-Hülle auf dem Boden. »Es gibt
nicht
seine Seite der Geschichte
, Nick. Und wenn es die doch
gibt, interessiert sie mich herzlich wenig. Er ist einfach ein
Arschloch, das ist alles.«
»Nach dieser Liste«, sagt Nick und hält das Blatt hoch, »geht
Raoul nicht fremd. Er schafft nur drei von zehn Punkten.«
»Abgesehen davon, dass er fremdgegangen ist und Lynn
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