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Rebellen der Ewigkeit

Rebellen der Ewigkeit

Titel: Rebellen der Ewigkeit
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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von mir, dass ich das einfach so hinnehme?« Willis zog sich grollend in das Sofapolster zurück.
    Karelia erwiderte zunächst nichts und rührte eine Weile in ihrem Tee herum. Willis beobachtete sie wortlos.
    »Weißt du, was uns von Ricardo Reming unterscheidet?«, sagte sie schließlich. »Er denkt nur an sich. Wir hingegen denken auch an andere. Wir freuen uns mit ihnen, wir wollen sie trösten, wenn es ihnen schlecht geht, und wir achten bei unseren Handlungen darauf, was für Folgen sie für unsere Mitmenschen haben könnten. Meistens jedenfalls. So funktioniere ich, so funktioniert Valerie, und ich bin überzeugt, du funktionierst auch so.«
    Sie bemerkte, dass sie Willis’ volle Aufmerksamkeit hatte. »Wenn du dich jetzt in dein Schneckenhaus verkriechst und Holmes, Amanda oder Ricardo für dein Schicksal verantwortlich machst, dann denkst du ebenfalls nur an dich. Du tauchst tief in dein Elend ein und verlierst dabei den Blick für die anderen. Und glaub mir, je länger du in dieser Haltung verharrst, desto schwieriger wird es für dich sein, da wieder rauszukommen.«
    Willis zeigte noch immer keine Reaktion. »Du musst nicht meinen, dass ich nur schlau daherrede«, fuhr Karelia fort. »Ich spreche aus leidvoller Erfahrung. Mein Mann hat nämlich denselben Fehler gemacht.«
    Jetzt endlich reagierte Willis. »Du bist verheiratet?«
    »Ich war verheiratet. Mit meinem Traummann. Er war der wunderbarste Mensch, den du dir nur vorstellen kannst.« Ihre Stimme nahm einen leicht wehmütigen Ton an. »Er war ein begnadeter Poet. Als ich ihn kennenlernte, hatte er bereits zwei Gedichtbände veröffentlicht und wurde von den Kritikern gefeiert. Ich verliebte mich sofort in ihn, nicht nur, weil er gut aussah, sondern weil er auch ein warmherziger und liebevoller Mensch war. Dann hatte er einen schrecklichen Unfall. Ein Autofahrer übersah eine rote Ampel und fuhr ihn über den Haufen. Er hatte Glück, dass er mit dem Leben davonkam. Allerdings war er von der Hüfte abwärts gelähmt. Mir war das egal, ich liebte ihn nach wie vor. Er war es, der mit der neuen Situation nicht zurechtkam.
    Er verfluchte das Schicksal, das ihn ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt an jenen Ort geführt hatte. Er klagte über die Ungerechtigkeit der Welt, die ihn für immer an den Rollstuhl fesselte, während der Autofahrer mit zwei Jahren Haftstrafe auf Bewährung davonkam. Kurz, er zog sich immer mehr in seine Bitterkeit zurück, bis sich sein ehemals so großes Herz in eine verschrumpelte Frucht verwandelt hatte. Mit der wachsenden Verbitterung verließ ihn auch die Poesie. Seine Gedichte wurden freudloser und farbloser. Er hatte Schwierigkeiten, einen Verleger zu finden, was seine Bitterkeit zusätzlich förderte. Alle waren an seinem Los schuld, nur er selbst nicht. Das Leben mit ihm wurde immer unerträglicher.
    Selbstmitleid ist wie ein Vampir. Es saugt denen, die sich um den betreffenden Menschen herum befinden, die Energie aus. Ich merkte das erst, als es schon fast zu spät war. Aber irgendwann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Die ganzen Jahre hatte ich mich von ihm emotional erpressen lassen. Geschickt hatte er meine Schuldgefühle manipuliert, um mich mit in das Elend zu reißen, das er sich als sein Lebensschicksal ausgesucht hatte. Ich packte meine Sachen und ging.«
    Karelia schwieg. Man merkte, dass es ihr immer noch schwerfiel, darüber zu sprechen. Schließlich gab sie sich einen Ruck und blickte Willis direkt in die Augen. »Es gibt eine Reihe von Menschen, die dich sehr mögen. Valerie zum Beispiel. Oder ich. Oder die Oberin in deinem Waisenhaus, die dir geholfen hat, eine Wohnung zu finden. Wir alle mögen den offenen, freundlichen, hilfsbereiten, optimistischen Willis, der seine Freunde nicht im Stich lässt. Und vor allem Valerie hat deine Hilfe jetzt mehr denn je nötig.«
    Willis hatte ihr die ganze Zeit gebannt zugehört. Jetzt lehnte er sich zurück und schloss sein Auge. Karelia beobachtete ihn unverwandt.
    »Weißt du, was, Karelia?« Er sah immer noch so aus, als ob er schliefe. »Du kannst wunderbare Geschichten erzählen. Aber dein Tee ist einfach miserabel.«
    Und seine Lippen formten sich zu einem Grinsen.
    Paul Gessler parkte den zerbeulten Kombi vor dem Holzhaus und stellte den Motor ab. Er hatte Maggiores Wagen direkt, nachdem sie Valerie und Willis in der Klinik abgeliefert hatten, in die Stadt zurückgefahren und in einem Vorort abgestellt. Dann hatte er bei einem Bekannten, der eine Autowerkstatt
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