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Rebellen der Ewigkeit

Rebellen der Ewigkeit

Titel: Rebellen der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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Fenster stand. Es sah aus, als habe es schon zu den Glanzzeiten des Columbusquartiers hier gestanden. »Ich komme regelmäßig vorbei und spiele. Das hilft den Patienten, ihre Angst und ihre Schmerzen ein wenig zu vergessen.«
    »Du spielst Klavier?«, staunte Willis. »Hast du das gelernt?«
    »Angeboren ist das nicht«, grinste Valerie, während sie den Deckel aufklappte. »Als meine Mutter noch gearbeitet hat, hat sie mir Klavierunterricht bezahlt. Ich war damals fünf Jahre alt, und weil man der Ansicht war, ich sei begabt, habe ich ein Stipendium bekommen und bis vor einem Jahr kostenlosen Unterricht erhalten.«
    Sie nahm auf dem Hocker vor dem Instrument Platz und bewegte ihre Finger ein paar Mal auf und ab. Dann legte sie die Hände auf die Tasten und begann zu spielen.
    Das Klavier war nicht perfekt gestimmt und die Tasten waren vom Gilb der Jahrzehnte gezeichnet. Aber die Melodie, die Valerie dem alten Instrumentenkörper entlockte, zählte zum Schönsten, was Willis je gehört hatte.
    Den anderen schien es ähnlich zu gehen. Das Tuscheln verstummte und selbst die spielenden Kinder senkten ihre Stimmen. Es war eine klassische Melodie, die Valerie spielte. Willis hatte sie schon irgendwann einmal gehört, wusste sie aber nicht einzuordnen. Das Stück ging nahtlos in eine leicht jazzige Improvisation über. Valeries Finger flogen so geschwind über die Tasten, dass er Mühe hatte, ihnen zu folgen. Sie saß mit geschlossenen Augen da, und Willis spürte, wie sie in die Musik versunken war. Auch er war wie gebannt und konnte seinen Blick nicht von Valerie wenden.
    Nach etwa zehn Minuten kam sie zum Abschluss und beendete ihren Vortrag mit einem Akkord in Pianissimo. Einen Moment lang herrschte Stille im Raum, dann begannen die Anwesenden zu klatschen. Willis klatschte am lautesten. Auch der Zahnarzt war aus seinem Behandlungszimmer gekommen und schloss sich dem Applaus an.
    Valerie verneigte sich leicht und fing dann ein neues Stück an. Sie spielte, bis die letzten Patienten in den Behandlungsräumen verschwunden waren, und klappte erst dann den Klavierdeckel zu.
    »Ich verstehe zwar nicht besonders viel davon, aber ich finde, du solltest Pianistin werden«, sagte Willis, als sie wieder auf der Straße standen.
    Valerie lächelte wehmütig. »Das würde ich auch gerne. Leider habe ich zu Hause kein Klavier mehr zum Üben. Das ist auch ein Grund, warum ich immer in die Klinik gehe. Ich tue das also nicht nur uneigennützig.«
    »Was ist mit deinem Klavier passiert?«
    »Es wurde vor einem halben Jahr gepfändet und zwangsversteigert, weil wir die Arztrechnungen meiner Mutter nicht bezahlen konnten.«
    »Aber mit dem Geld von Tempus Fugit könntest du dir jetzt ein neues kaufen.«
    »Vielleicht. Wenn nach der Bezahlung der Behandlungskosten noch etwas übrig bleibt.«
    Schweigend gingen sie nebeneinander her, bis sie die U-Bahn-Station erreicht hatten.
    »Weißt du, was?«, sagte Willis, als sie die Stufen hinabliefen. »Du kannst die Hälfte von dem Geld, das Karelia mir zahlt, haben. Ich brauche sowieso nicht so viel.«
    »Das ist lieb von dir, aber ich kann das nicht annehmen«, erwiderte Valerie. »Du bist doch auch knapp bei Kasse.«
    »Ach was. Ich habe alles, was ich zum Leben brauche.« Er grinste. »Und außerdem würde ich dich gerne einmal in einem voll besetzten Konzertsaal sehen.«
    »Vielleicht bin ich gar nicht so gut, wie du denkst. Immerhin übe ich seit einem halben Jahr nicht mehr regelmäßig, und ich merke jetzt schon, wie mir langsam die Finger einrosten.«
    »Aber es bedeutet dir doch viel, oder?«
    Sie nickte. »Das schon. Ich weiß nicht, wie ich die letzten Jahre ohne Musik überlebt hätte«, sagte sie leise.
    Sie waren auf dem Bahnsteig angekommen. Trotz Valeries Widerspruchs war es für Willis klar, dass er von seinem Gehalt bei Karelia so viel wie möglich für sie abzweigen würde. Und wenn sie das Geld nicht nahm, dann würde er ihr eben ein Klavier kaufen und in die Wohnung stellen lassen.
    »Ich bringe dich noch nach Hause«, sagte er.
    »Das musst du nicht. Du solltest lieber zusehen, dass du so schnell wie möglich von der Straße verschwindest.«
    »Keine Widerrede. Es kommt überhaupt nicht infrage, dass die größte Nachwuchspianistin unserer Tage abends allein durch die Stadt geht.«
    »Hätte ich dir das bloß nicht gezeigt«, seufzte Valerie in gespielter Verzweiflung.
    Ihre Wohnung lag nur einen knappen Kilometer von Karelias Haus entfernt. Nachdem Valerie im Haus

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