Rebellen: Roman (German Edition)
Gepäckträger.« Er stieg mit einer einzigen, oft geübten Bewegung aus dem Sattel.
»Ich trag die Tasche lieber selbst«, sagte Ingrid und ging weiter.
Diese Reaktion war in seiner Planung nicht vorgesehen gewesen. Also improvisieren: »Die sieht schwer aus. Brauchste doch nicht zu schleppen, wenn ich schon mal mit den Fahrrad vorbeikomme.«
Jetzt blieb sie stehen. Läuft also doch alles nach Plan.
Aber sie funkelte ihn an: »Verstehst du kein Deutsch oder was. Ich trag meine Tasche lieber selbst. Wie sieht das denn aus, wenn ich sie mir von einem Heimkerl schleppen lasse.«
Sie drehte sich um und ging weiter.
Paul schaute ihr nach. Als sie um die Ecke in die nächste Seitenstraße einbog, setzte er sich aufs Rad und fuhr langsam zurück in den Waisenhort.
22. Alexander
»Alexander! Wir haben gehört, du pflegst Umgang mit den Kindern vom Waisenhaus?« Die Mutter setzte ihre Brille auf und fixierte ihn über die komplette Länge des Mittagstischs hinweg. Maximilian stocherte mit der Gabel im Gemüse und tat so, als habe er ihr nicht zugehört. Dieser Verräter. Er hasste seinen Bruder, diese Petze.
Obwohl Alexander die Haare nun länger trug, mit Mädchen ausging, abends nicht mehr so früh ins Bett musste, hatte sich daheim eigentlich nichts verändert. Er hasste diese gemeinsamen Essen.
Er versuchte auf Zeit zu spielen und gab erst mal den Ahnungslosen: »Wie kommst du denn auf so was?«
»Lüg mich nicht an.«
»Ich hab doch gar nichts gesagt.«
»Aber jetzt wirst du mir etwas sagen. Pflegst du Umgang mit Kindern vom Waisenhaus?«
Er nagte am Griff des Messers und überlegte. »Ich pflege keinen Umgang. Ich kenne Kinder von drüben. Klar. Schließlich haben wir den gleichen Schulweg.«
»Hör auf damit. Wir würden deinen Freund gern kennenlernen. Lade ihn am Samstag zum Essen ein.«
»Muss das sein?«
»Mmh, o. k., das ist nett.«
»Meine Mutter ist nicht nett.«
»Warum lädt sie mich dann zum Essen ein?«
»Weil sie nicht nett ist.«
»Das Besteck musst du von außen nach innen benutzen. Siehst du, so. Beim ersten Gang nimmst du das Messer und die Gabel, die ganz außen liegen. Und immer so weiter.«
Alexander hatte die in Handtücher eingewickelten Essteller aus seiner Schultasche gepackt und auf einem Tisch ausgelegt. Aus einem anderen Handtuch zog er ein in sich verschlungenes Gewirr von Gabeln, großen und kleinen Löffeln, Messern und ordnete sie neben den Tellern an. Zwei Stoffservietten wanderten aus seiner Jackentasche auf den Tisch, und aus einer Umhängetasche beförderte er acht Gläser hervor.
»He, wie viele Leute kommen denn da?«
»Das sind die Gläser für uns zwei.«
»Spinnst du? So viel kann ich gar nicht saufen. Was soll das? Findest du nicht, dass du übertreibst?«
»Setz dich.«
»O. k.«
»So nicht.«
»Ich sitz immer so.«
»Beim Essen musst du aufrecht sitzen.«
»Ich sitz aber immer so.«
»Du hängst im Stuhl wie ein nasser Sack.« Alexander machte vor, wie es richtig ging.
»Sieht beschissen aus«, sagte Paul.
»Ich weiß. Aber meine Eltern legen Wert auf so was.«
Paul zog die Schultern hoch und setzte sich widerwillig aufrecht in den Stuhl.
»Du darfst nicht mit dem Rücken an die Stuhllehne kommen. Du musst aufrecht sitzen, ohne dich anzulehnen.«
»So?«
»Ja, aber nimm die Unterarme vom Tisch. Die Hände dürfen nur bis zu den Handgelenken auf dem Tisch liegen.«
»Das ist nicht dein Ernst. Sag mal, spinnen deine Eltern oder was?«
»Das ist mein Ernst. Und: Nein, sie spinnen nicht. Oder vielleicht doch. Aber anders … Egal. Hey, es muss sein. Diesen Triumph will ich ihnen nicht gönnen. Wir schlagen sie mit ihren Waffen.«
»Ist ja schon o. k.«
»Und stell die Beine zusammen. Man kann nicht so breitbeinig dasitzen.«
»Warum nicht?«
»Es ist einfach die Regel.«
»Bei euch zu Hause?«
»Ja. Und jetzt nimm die Serviette – stopp, nicht so! Nicht schütteln, bis sie aufgeht. Du musst sie so halb geöffnet auf den Schoß legen.«
Er machte es vor. Paul tat es ihm nach.
»Wenn du den Mund abwischen willst, darfst du mit der Serviette nur tupfen. So.«
»So einen Scheiß mach ich nicht. Warum kann ich bei euch nicht essen, wie ich es will?«
»Darum geht es doch. Meine Mutter will mir zeigen, dass du die Regeln nicht kennst. Sie wird mir sagen, dass du dich nicht benehmen kannst.«
»Sitze ich gut so?«
»Ja. Dann nimmst du die Serviette. Aber erst, wenn meine Mutter ihre genommen hat.«
»O. k.«
»Bevor du einen
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