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Rebellen: Roman (German Edition)

Rebellen: Roman (German Edition)

Titel: Rebellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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sondern auch abends bis um zehn und einmal im Monat bis um Mitternacht rauszudürfen. Die Regenrinne brauchte er nun nur noch im Ausnahmefall zu benutzen.
    Es war das Jahr 1965. Ein unentschiedenes Jahr. Es geschahen schreckliche Dinge, und am schlimmsten fand Paul, dass Roy Black die Bravo -Hitparade mit Ganz in weiß wochenlang anführte. Aber immerhin: Die Beatles brachten Help raus. Pauls Hit des Jahres war My Generation von The Who. Samstags sah er den Beat-Club mit Uschi Nerke im Fernsehen. Moppel blamierte sich, weil er Udo Jürgens’ Siebzehn Jahr, blondes Haar grölte. Drafi Deutscher wurde mit Marmor, Stein und Eisen bricht unvergesslich. FräuleinWackenhut verließ den Eisenbahn-Waisenhort und heiratete. Muhammad Ali, wie Cassius Clay jetzt hieß, besiegte Karl Mildenberger. In der Schubertstraße zog eine Familie mit einer blonden Tochter namens Ingrid ein, die Paul gut gefiel. Sie trafen sie zwei-, dreimal auf dem Münsterplatz und redeten, aber nur ein paar Worte. Alexander konnte sie nicht leiden. Doch Paul kundschaftete mit seiner Hilfe aus, dass sie die Realschule in der Weiherhofstraße besuchte. Pauls Mutter schrieb, dass sie vielleicht noch einmal heiraten würde.

    Alexander »ging« jetzt offiziell mit Karin. Sonntags gingen sie nun zu dritt ins Kino. Sie sahen Dr. Schiwago, und nach dem Kino heulten Alexander und Paul wie Wölfe, bis Karin sich die Ohren zuhielt. Bevor das Licht wieder anging, war Paul rettungslos in Geraldine Chaplin verliebt. Alexander fand Julie Christie besser, und Karin seufzte dann und flüsterte, nur um Alexander zu ärgern, »Omar Sharif« auf eine Art, dass Paul ganz komisch zumute wurde.
    Sie verabschiedeten sich am Anfang der Händelstraße. Dort standen einige Wohnblocks, und Alexander und Karin gingen zu der kleinen Grünfläche in der Mitte. Karin lehnte sich an einen Baumstamm. Paul schaute zu ihnen rüber. Er wollte es nicht sehen, aber auch wenn es schon dunkel war, sah er trotzdem, wie sich Alexanders Hände unter Karins Bluse bewegten, wie sie sich von ihrem Knie aufwärts unter ihren Rock schoben. Aber das Unglaublichste war ihre Körperhaltung. Paul kam es vor, als flösse sie Alexander entgegen, die Arme um ihn gelegt, die Schenkel leicht geöffnet, den Kopf zurückgeworfen. Diese Haltung … er musste schlucken. Ob irgendwann einmal eine Frau auch ihn so umarmen würde? Er hielt es für unwahrscheinlich und war maßlos traurig.

    Als Karin dann die letzten Schritte zum Heim hinunterging, zog sie den Rock glatt, ihre Schritte wurden energisch, als habe sie soeben etwas Wichtiges erledigt.

    Paul packte für den Umzug in die Jugendgruppe seine Kleider in denselben braunen Koffer, mit dem er vor Jahren ins Waisenhaus eingezogen war. Zwei Schränke weiter packte auch Moppel seine Sachen. Die »O« hatte für ihn eine Lehrstelle als Anstreicher gefunden. Auch Moppel zog nun in eine Jugendgruppe um, eine andere.
    Paul kniete auf seinem Koffer und versuchte vergeblich, ihn mit seinem Gewicht zuzudrücken.
    »Lass mich mal«, sagte Moppel und ließ sich auf Pauls Koffer fallen. Sofort schloss er einwandfrei.
    Moppel schien einen guten Tag zu haben, vielleicht, dachte Paul, freut er sich auf sein neues Leben als Anstreicher.
    In diesem Augenblick kam Alexander zur Türe herein. Er balancierte den Dual auf dem Arm.
    »Nagelneu. Eine neue Platte von den Stones!«
    Die beiden Freunde verließen den Schlafsaal. Dann dröhnten in dem Wohnzimmer der ehemaligen Gruppe Wackenhut die Riffs von Keith Richards und Brian Jones aus den Boxen von Alexanders Dual-Plattenspieler.
    I Can’t Get No Satisfaction.
    »Weißt du, was das auf Deutsch heißt?«
    Paul zuckte unbestimmt mit der Schulter.
    »Ich werde nicht befriedigt.«
    »Wahnsinn.«

    Paul lieh sich von einem Jungen aus der Gruppe Schneider dessen blaues Fahrrad. Schmale Rennreifen. Zehngangschaltung! Er überlegte sich jedes Wort, das er sagen wollte. Er erwog jede mögliche oder wahrscheinliche Antwort. Und sprach sich leise seine Antwort vor. Er berechnete das Gespräch wie ein Schachspieler seine Züge. Als er glaubte, alle Varianten bedacht zu haben – Action!
    Ingrid lief wie immer nach der Schule die Okenstraße hinunter, als Paul auf Höhe des Herz-Jesu-Klosters mit einem eleganten Bremsmanöver neben ihr hielt, der Fahrradversion von quietschenden Reifen im Kino gewissermaßen.
    »Hallo Ingrid, wir haben offenbar den gleichen Weg.«
    Ein Satz wie von Steve McQueen.
    »Leg doch deine Schultasche auf meinen

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