Rebellen: Roman (German Edition)
inne, unterbrach das Pissen und ging mit raushängendem Schwanz in ihrer Wohnstraße auf die andere Seite des Mercedes und pisste auch noch auf den Griff der Beifahrerseite, wo, wie er genau wusste, Maximilian morgen einsteigen würde, um mit dem Vater in die Fabrik zu fahren.
Dann hakten sich die beiden unter wie beste Freunde, und er hörte sie noch lachen, als er sie schon nicht mehr sah.
Maximilian erinnerte sich oft an diese Szene. Bei allem, was er später erleiden musste, rief er sich immer diese Szene ins Gedächtnis. So war mein Bruder damals. Und später war er nicht viel anders.
24. Alexander heute
Endlich öffnete sich die Praxistür, und Toni kam strahlend auf ihn zu, umarmte und küsste ihn. Er kannte keine Ehefrau, die nach so vielen Jahren ihren Mann immer noch küsste wie sie. Keine dieser ehelichen Babyküsse, keine dieser schmallippigen Sachen: Ihm wurde immer noch schummerig.
Zweimal hatte er es schon erlebt, dass er durch die Stadt ging, und vor ihm schälte sich die Kontur einer schönen Frau aus der Masse der Fußgänger. Er fokussierte den Blick auf diese Figur, und dann, wenn sie näher kam, erkannte er, dass die schöne Frau seine eigene war. Es gab kein besseres Gefühl. Alles, was er immer gewollt hatte, war diese Frau. Und als sie nun die Umarmung löste und ihn lächelnd betrachtete, schwemmte irgendein unbekanntes Hormon all seine Sorgen davon.
Ich bin Realist. Paul war der Träumer. Aber der Realist hat immer schlechte Karten, dachte er. Der Realist ist immer dem Träumer unterlegen. Der Träumer, der von einer besseren Welt träumt, hat die besseren Karten. Träumer sind sexy. Realisten sind grob.
Auch Toni dachte so. Sie warf ihm vor, dass er in dieser Welt funktionierte, seinen Nutzen daraus zog. Sie hatten lang nicht mehr über dieses Thema gesprochen. Sehr lange nicht mehr. Aber ihre Haltung war eindeutig. Sie war die Heilige in der Familie. Sie kümmerte sich um diese Verrückten, diese Kinder, die sich zu Tode hungerten, sich die Arme aufschlitzten, die kotzten und würgten. Warum? Sie hatte es nicht nötig. Aber er akzeptierte es. Er hatte eine eigenständige Frau. Er hatte eine starke Frau. Sie hatte ihre Ideen, ihre eigene Vorstellung von der Welt, die nicht immer seinen Gedanken entsprach, aber ein Weibchen, das ihrem Mann immer nur zustimmte, hätte er unerträglich gefunden.
Ihr zuliebe hatte er in der Helmholtz-Gruppe ein Frauenförderprogramm eingeführt. Er hätte das auch ohne die Fördergelder des Landes getan. Ihr zuliebe. Er hatte eine Auszeichnung bekommen. Die Firma war unter den zehn frauenfreundlichsten Unternehmen des Landes. Bei gleicher Qualifikation wurde die Bewerberin dem Bewerber vorgezogen. Es gab jährlich einen Girls-Day im Unternehmen, an dem sich Mädchen über die beruflichen Aussichten in einem technischen Umfeld informieren konnten, er hatte eine GenderChanceManagerin eingestellt, von der er nicht wusste, was sie den ganzen Tag tat.
Aber das alles war Toni nicht genug.
»In eurem Vorstand gibt es keine einzige Frau«, hatte sie gesagt.
Gemeinsames Merkmal der Träumer war, dass sie keine Ahnung von den Dingen haben, die sie ändern wollen; an diesem Punkt glich Toni Paul. Was wusste sie schon von der Arbeit des Vorstands? Aber den Träumern ging es nicht um die Menschen, nicht um das Konkrete, nicht ums Detail, nicht um die Realisierung. Ihnen ging es ums Prinzip.
Manchmal erzwang die Natur der Dinge reine Männergruppen. Jawohl, Männergruppen, nicht Männerbünde, wie Toni sie nannte. Davon war Alexander überzeugt. Als er um den Auftrag für zwölf neue Maschinen in Odessa kämpfte, nach harten Verhandlungen und einem ebenso harten Dinner mit Unmengen Wodka und unbekannten Fisch- undGemüsespeisen, hatten die ukrainischen Kunden sie in die Sauna eingeladen. Es war ein Puff, natürlich. Gregor, der Chef der Pultinowa-Maschinenfabrik, sein neuer Kunde und nun sein neuer Freund, unterschrieb hier einen Auftrag von vier Millionen Euro, nackt und behaart, als trüge er einen schwarzen Tarnanzug. Danach vögelte er vor seinen Augen im Stehen eine hinreißende Frau, die seine Enkelin hätte sein können.
»Komm her.« Er winkte Alexander herbei und zog seinen riesigen Kolben aus der Frau. »Mach weiter.«
Was hätte er tun sollen? Es war ein archaisches Ritual. Indem sie beide ihren Samen in dieses unbekannte Mädchen ergossen, festigten sie ihre Geschäftsverbindung. Sie war nun auf sichererem Boden gebaut als durch die bloße
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