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Rebellen: Roman (German Edition)

Rebellen: Roman (German Edition)

Titel: Rebellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Up kam er zurück und balancierte einen Eimer Popcorn durch die Reihen. Alexanders Nebenmann stand nun auf und kam mit einem Bier zurück, andere verschwanden, um sich Würste zu kaufen. Bis die Stones mit Jumpin’ Jack Flash, der einzigen Zugabe, schlossen, liefen fette Männer auf und ab, schleppten Bier und Würste umher; während des ganzen Konzerts ein unbegreifliches Kommen und Gehen. Ein Verbrechen! Hier spielten die Stones. Das war kein Baseballspiel.

    Immerhin kam Toni dann im Juni mit zu dem Konzert auf dem Hockenheimring. AC / DC waren die Vorgruppe, und Angus Young spielte wie angestochen. Die Zuschauer, von denen die meisten zwanzig oder dreißig Jahre Stones-Erfahrung im Lebensgepäck mit sich herumtrugen, verlangten Zugaben, und AC / DC gaben sie gerne und laut. Ganz anders als beim Auftritt der Stones im Stuttgarter Neckarstadion, als die Simple Minds eröffneten und doch jeder froh war, als sie den letzten Song gespielt hatten. Oder München. Die Stones wollten wohl mit dem erfolgreichsten deutschen Rock Act zusammen spielen, und weiß der Herrgott, wer ihnen gesagt hatte, dies sei Peter Maffay. Er wurde ausgepfiffen. Aber in Hockenheim war alles gut, AC / DC , die Fans, Mick Jagger in einem pinkfarbenen Jackett. Dann jammten die Stones zusammen mit Angus Young eine gute Viertelstunde zu Rock Me Baby.
    I want you to rock me, baby, rock me all night long
I want you to rock me, baby, rock me all night long
Well I want you to rock me, baby, like my back ain’t got no bone
    Alexander sprang auf, klatschte, sang mit, küsste Toni, hob sie hoch und hätte sie am liebsten auf seine Schultern gesetzt. Als die Band dann direkt vor ihnen auf dem Plateau am Ende des Laufstegs Muddy Waters’ I Just Want to Make Love to You anstimmten, direkt vor ihnen, konnte er Keith Richards mit bloßem Auge bei der Arbeit zusehen. Was für ein Abend!
    Und dann Paris. Paris war der absolute Höhepunkt. Toni und die Kinder standen mit ihm auf dem Rasen des Stade de France, dem größten und schönsten Stadion Frankreichs. Erbaut für die Fußballweltmeisterschaft 1998. Fünf UEFA -Sterne. Achtzigtausend Stones-Fans. Großartige Stimmung.Nun, die Setlist kannte er mittlerweile, und er versuchte seiner Frau zu imponieren, indem er vor Mick Jagger die Songs ansagte. Toni lachte, die Kinder auch, und er war glücklich. Achtzigtausend, die mitsangen und mitfeierten, und ein großartiger Ronnie Wood, der mehrmals mit langen Soli brillierte.
    Ja, die Stones verdankte er Paul. Vielleicht überhaupt diese Liebe zur Musik, zum Blues, die ihm so oft im Leben Schutz geboten hatte.
    Aber jetzt ging es um etwas anderes. Jetzt wurde das letzte Gefecht ausgetragen.
    Jetzt schickst du mir deinen Sohn.
    Vielleicht war es gut so. Vielleicht würde er dann endlich diesen Traum los. Nicht oft, aber immerhin ein-, zweimal im Monat träumte er von Paul. Immer der gleiche Traum. Es war kein guter Traum, oft las er zu lange im Bett, obwohl er müde war, nur weil er sich vor diesem Traum fürchtete.
    Manchmal weckte ihn Toni, und er sah ihr schlaftrunkenes, erschrockenes Gesicht über sich. Manchmal versuchte er sich selbst aus den Träumen zu befreien, und dann strampelte er und stöhnte im Schlaf. Die Träume von Paul wollten ihm auf eine besonders perfide Weise vorgaukeln, sie seien keine Träume. Du bist tot, Paul, sagte er zu ihm. Du bist tot, und deshalb träume ich nur von dir. Paul lachte dann: Sehe ich aus wie ein Gespenst? Sieh mich an, sehe ich aus wie ein Gespenst? Nein, Paul, das siehst du nicht. Also lebe ich, dies alles ist wahr. Und das glaubte Alexander dann.
    Diese Träume waren eine Art Polizeiverhör. Paul gab den Inquisitor. Den weichen Verhörspezialisten, nicht den bad cop, sondern den good cop. Haben wir nicht um den Baum der Freiheit getanzt, Alexander, fragte er. Und: Was hast du daraus gemacht?
    Er senkte den Kopf. Schuldig. Im Traum war er immer schuldig.

    Es ist ein Irrglaube, sage ich dir, dass man an den Idealen der Jugend festhalten muss. Seit Dieter Henrich wissen wir, dass Hölderlin, Hegel und Schelling in Tübingen nie einen Baum der Freiheit errichtet haben. Das ist eine erfundene Geschichte, gut erfunden, meinetwegen, und sie hält sich hartnäckig, aber sie ist doch erfunden. Mehr nicht.
    Aber sie haben die Revolution gefeiert, sagte Paul. Sie feierten die Französische Revolution. Hölderlin blieb seinen Idealen treu. Hegel nicht, und du auch nicht.
    Hegel blieb nicht stehen, Paul. Er entwickelte sich weiter.

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