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Rebellen: Roman (German Edition)

Rebellen: Roman (German Edition)

Titel: Rebellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Er nahm einen Beruf an. Er meisterte diesen Beruf. Er begann kein Verhältnis mit der Frau seines Brötchengebers. Er wurde nicht aus jedem Brotberuf wieder gefeuert – wie Hölderlin. Und du.
    Er hat alles verraten, Alexander. Wie du.
    Und der andere, brüllte Alexander, der andere, der seinen Idealen treu blieb, so wie du, der wurde verrückt. Der starb früh. So wie du. Der meisterte das Leben nicht.
    Im Traum wollte er Paul töten, schlagen zumindest, doch der entzog sich. Lächelnd und leicht den Kopf schüttelnd. Paul lächelte, er lächelte auf seine stille, einsame, auf seine unerträglich vermessene Art. Auf seine wunderbar verführerische Art. An einen Baum gelehnt, die Kippe in der hohlen Hand.
    »In Untertänigkeit Scardanelli«, sagte er und verschwand.

    Alexander gab Gas und drehte die Boxen auf.
    Like a rolling stone

28. Paul
    Zehntelmillimeter für Zehntelmillimeter gab der U-Stahl nach. Feinste Späne fielen auf den Boden, versteckten sich in den Falten von Pauls Blaumann, Metallstaub puderte seine Hände; ein harter Kampf, der Pauls Händen nach den Blasen Schwielen einbrachte.
    Es ging nicht nur darum, das Metall abzufeilen. Die Kanten mussten exakt in einem Winkel von 90 Grad zueinander stehen, und die Flächen des Stahls mussten gerade und plan werden. Der unerbittliche Haarwinkel zeigte Paul jede Unebenheit, jede schief abfallende Fläche. Er legte die spitz geschliffene Messkante auf das Werkstück, und der Winkel lag nun wie ein Haar auf der Fläche des U-Stahls. Dann hob er beides gegen eines der Fenster, und im Gegenlicht zeigte ihm ein Lichtspalt zwischen Werkstück und Haarwinkel jede noch so kleine Unebenheit.
    Jeden Nachmittag um vier Uhr, eine Stunde vor Feierabend, ging Eislinger von Werkbank zu Werkbank, prüfte die Ebenheit des Stahls, die Geradwinkeligkeit der Kanten, wies die Lehrlinge auf Fehler hin, legte das Arbeitspensum für den nächsten Tag fest, lobte nie und tadelte selten. Dann wurden die Maschinen, die Werkbank, der Boden der Werkstatt und die Toiletten geputzt.
    Dazu gab es ein Wundermittel: Tri. Die beschauliche Abkürzung für Trichlorethylen, ein hochwirksames Lösungsmittel, das jede Ölspur wegwischte. Mit Tri wurden die Futterbacken der Drehmaschinen gesäubert, die Halterungen der Bohrmaschinen; einer der Lehrlinge hielt seine mit Öl und Metallsplittern versaute Arbeitshose in einen Tri-Behälter und zog sie sauber wieder heraus, als habe seine Mutter sie im Bottich geschrubbt.
    Dann endlich, um 17 Uhr, trötete laut eine Hupe. Für die meisten Lehrlinge klang es besser als Rockmusik. Feierabend.
    Paul gefiel es in der Lehrwerkstatt. Das Feilen war anstrengend, aber am Abend konnte er sein Tagewerk in Zehntelmillimetern abmessen. Er arbeitete sorgsam, und der Lichtstreifen unter dem Haarwinkel blieb nach vierzehn Tagen gleichmäßig und dünn.
    Doch: Was sollte er nach Feierabend machen?
    Keine Lust auf Waisenhaus.
    So ging er durch den Stadtpark oder verlängerte den Heimweg durch einen Umweg über den Schlossberg. In der vierten Woche ging er einfach zurück in die Lehrwerkstatt. Eislinger und Miss Titty saßen in dem Glasverschlag.
    Der Meister trug Zahlen in eine Tabelle ein und sah ihn erstaunt an. »Was willst du denn hier?«
    »Hast du etwas vergessen?«, fragte Miss Titty.
    »Ich würde gerne ein bisschen weiterfeilen.«
    Eislinger sah auf und sagte: »Meinetwegen. Aber mach deine Werkbank hinterher sauber. Tipptopp.«
    Um halb sechs ging Miss Titty nach Hause. Er hörte, wie sie ihr VW Cabrio unten im Hof startete. Eislinger kam zu ihm, prüfte sein Werkstück und gab es ihm kommentarlos zurück.
    Der Meister brachte ihn am Abend in seinem majestätisch schaukelnden Opel Kapitän nach Hause. Als er vor dem großen Turm des Waisenhauses hielt, gab er ihm zum Abschied sogar die Hand mit den fehlenden Fingerkuppen. Seitdem kam Paul fast jeden Abend in die Lehrwerkstatt zurück.
    Nach drei Monaten lernten sie Gewinde drehen und Bohrer schleifen, und dann – endlich – durften sie an die Drehmaschinen, zunächst allerdings nur an die beiden kleineren. Mit einem Handstichel drehte er den Stuttgarter Fernsehturm aus einem 20 Zentimeter langen Rundstahl. Eislinger gab jedem ein Foto des Turms, dann wurde vermessen, eine technische Zeichnung erstellt, der Rundstahl eingespannt, und unter Eislingers kritischem Blick durfte dann jeder an die Maschine.
    »Und? Wem schenkst du deinen Turm?«, fragte Miss Titty ihn am Abend.
    Paul zuckte mit den Schultern.

    Das

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