Rebellen: Roman (German Edition)
dies ein völlig neuer Sound war, wild, frei und doch bis in jede Rückkopplung genau überlegt, unbeherrscht und technisch perfekt. Hendrix’ Musik kündigte an, dass die Dinge sich ändern würden. Dass jeder so leben könne, wie er es wolle.
Aber wann?
»Mich kotzt das total an, dass die Firma uns vorschreibt, wie wir die Haare zu tragen haben«, sagte Strunz, als sie in der Berufsschule in der Raucherecke zusammenstanden.
»Mich auch. Ist doch auch ein total sinnloses Verbot.«
»Gehst du mit zum Betriebsrat?«
Paul schluckte. Betriebsrat, Gewerkschaft, nicht gerade die Freunde von Heppeler junior.
Zwei Tage später waren sie da. Strunz ging voran. Er war schließlich der Ältere.
Der freigestellte Betriebsrat hieß Horst Wagner. Er saß in einem blauen Arbeitskittel hinter dem Schreibtisch und telefonierte. Sein Büro lag im gleichen Flur wie das des Personalchefs, nur zwei Türen entfernt. Er wedelte mit der freien Hand, was wohl bedeuten sollte, dass er das Gespräch gleich beenden würde.
»Sieh mal an, hoher Besuch von unseren Lehrlingen. Was wollt ihr denn?«
Paul und Strunz standen vor dem Schreibtisch des Betriebsratschefs. Durch eine offene Tür sahen sie in einem zweiten Raum einen langen Besprechungstisch, in einem weiteren kleineren Büro tippte die Halbtagssekretärin auf einer Kugelkopfschreibmaschine.
»Es geht um unsere Haare. Wir wollen sie wachsen lassen, wie wir wollen.«
Horst Wagner seufzte. »Ich versteh euch. Aber das ist nicht so einfach. Es geht ja auch um rechtliche Bestimmungen. Um den Arbeitsschutz. Da können wir als Betriebsrat auch nicht gegen an. Wir müssen im Gegenteil dafür sorgen, dass die arbeitsrechtlichen Vorschriften und die zum Arbeitsschutz eingehalten werden. Es geht ja letztlich um eure Gesundheit. Versteht ihr?«
»Nicht ganz«, sagte Paul.
»Ich will mir nicht länger vorschreiben lassen, wie ich mich zu frisieren habe«, sagte Strunz.
Wagner seufzte zum zweiten Mal. »Was versteht ihr nicht?«
»Warum diese Vorschriften nur für Lehrlinge gelten sollen. Die Ausgelernten dürfen sich die Haare wachsen lassen, wie sie wollen. Was ist da mit dem Arbeitsschutz?«
»Die Erwachsenen sollen auch nicht rumlaufen wie Gammler.«
»Also, ich will das mal sehen, wo das steht mit dem Arbeitsschutz«, sagte Strunz.
Wagner erhob sich. »Ein Vorschlag zur Güte. Wir diskutieren das mal im gesamten Betriebsrat. Danach werden wir Herrn Heppeler auf euer Anliegen ansprechen. Ihr hört von mir.«
Kurz danach standen sie wieder auf dem Flur.
»Von dem hören wir nix mehr«, sagte Strunz.
Er hatte recht.
Sie verabredeten sich nach Feierabend auf ein Bier im Tennenbacher Hof. Paul brachte Papier mit und einen Kugelschreiber.
»Beim Schreiben bin ich nicht so gut«, sagte Strunz.
»Ich auch nicht.«
»Und jetzt?«
»Ich hab einen Kumpel. Der geht aufs Kepler. Der kann uns das aufschreiben.«
Zwei Tage später saßen sie zu dritt im Tennenbacher Hof. Alexander schrieb ihren Brief.
»Das ist höflich. Aber es ist auch ganz klar, was ihr wollt.« Er las vor:
Sehr geehrter Herr Heppeler,
wir, die unterzeichnenden Lehrlinge, möchten nicht mehr gezwungen werden, die Haare kurz zu tragen. Wir betrachten unseren Haarschnitt als Teil der eigenen Persönlichkeit. Deshalb schlagen wir vor, es jedem einzelnen von uns zu überlassen, wie er in Zukunft seine Haare tragen will.
Hochachtungsvoll
Paul suchte seine in verschiedene Abteilungen versprengten Kollegen des ersten Lehrjahres auf. Außer dem dicken Peter, der wegen seiner schlechten Noten in der Berufsschule auf der Kippe stand, unterschrieben alle. Strunz trug den Brief dann zu seinen Kollegen des dritten Lehrjahres, die alle unterschrieben bis auf zwei, und die kaufmännischen Lehrlinge weigerten sich alle bis auf einen.
»Auf diese Pfeifen können wir verzichten«, meinte Strunz.
Vierzehn Tage später wurden alle Lehrlinge ins große Konferenzzimmer bestellt. Mulmige Atmosphäre. Sie warteten.
Dann ging die Tür auf, und Heppeler junior stürmte herein. Alle hielten die Luft an. Ihm folgten der Obermeister, Eislinger und zum Schluss der Betriebsratschef Wagner.
»Wir haben Ihren Brief erhalten.«
Strunz stieß Paul an. Sie wurden nicht mehr geduzt.
»Es gibt Gründe des Arbeitsschutzes, die kurze Haare verlangen. Niemand will, dass Sie mit den Haaren in ein drehendes Teil geraten. Andererseits ist Ihr Wunsch, mit der Mode zu gehen, verständlich, wenngleich die heutige Mode scheußlich ist und ein Mann
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