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Rebellen: Roman (German Edition)

Rebellen: Roman (German Edition)

Titel: Rebellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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putzten dann aber eine Stunde früher die Werkbänke und Drehmaschinen, schrubbten Toiletten und Waschräume, zogen die Arbeitskleidung aus und versammelten sich zum letzten Mal an ihren Werkbänken. Heppeler junior erschien, der Obermeister und sogar der Prokurist Schmidt. Eislinger hielt eine kleine Ansprache, dass sie nun den ersten Schritt in ihrer Ausbildung zum deutschen Facharbeiter geschafft hätten. Der deutsche Facharbeiter sei das Rückgrat der Wirtschaft, und sie könnten stolz sein dazuzugehören, insbesondere bei der Firma Heppeler, die zu den besten Unternehmen in Freiburg gehöre. Jetzt sei aber auch die Schonzeit vorbei, denn ab Montag würden sie in den ganz normalen Abteilungen des Werkes ihren Mann zu stehen haben.
    Dann sprach Herr Heppeler von den Gefahren, die von den überzogenen Forderungen der Gewerkschaft für unser aller Wohlstand ausgingen, und davon, dass er hoffe, sie alle würden auch in dieser Hinsicht verantwortungsvolle, wertvolle deutsche Arbeitskräfte.
    Eislinger gab jedem die Hand, und der Obermeister las nun vor, in welcher Abteilung sich jeder am Montag einzufinden habe.

    Paul hielt die Luft an. Den Strunz vom zweiten Lehrjahr hatten sie nach dem ersten Jahr acht Wochen lang in die Fräserei gesteckt. Montage, Fräserei und Dreherei waren die langweiligsten Abteilungen. Dort, so hatte Strunz ihm erzählt, werde in Serie produziert, die Arbeiter schufteten nach Vorgabezeiten im Akkord, und es gehe nur darum, hohe Stückzahlen zu erreichen. Immer die gleiche Arbeit, monoton, du glaubst, der Tag geht niemals rum. Mit Ausbildung habe das nichts mehr zu tun.
    Die Versuchswerkstatt sei prima, dort würden neue Teile entwickelt und zur Serienreife gebracht, da käme es noch aufs genaue Schaffen an, man könne ein Werkstück von Anfang bis Ende bearbeiten, und es gebe keine Zeitvorgaben, auch der Werkzeugbau sei in Ordnung, auch da gebe es keinen Akkord. Schlosserei und Betriebselektrik seien nicht schlecht, aber die Versuchswerkstatt stehe eindeutig ganz oben auf der Hitliste, sei gewissermaßen die Beatles der Abteilungen. Du meinst die Stones, verbesserte Paul.
    Paul wurde dem Werkzeugbau zugewiesen.

    Hier war alles anders.
    Der Meister hieß Hans Hartenberger, ein hochgewachsener Mann mit Backenbart, der Paul ein bisschen an Kapitän Ahab, den Jäger des weißen Wals aus dem Film, erinnerte.
    Hartenberger wies ihm seine ersten Aufgaben zu. Jeden Morgen um halb zehn Uhr in die Kantine gehen, um Brötchen, Milch, Zigaretten für alle Kollegen der Abteilung einzukaufen. Am Abend die Werkstatt fegen.
    »Jeden Abend«, sagte Hartenberger.
    Dann gab er ihm auf, mehrere Paletten mit neuen Werkzeugen mit Tri zu säubern. Paul füllte das Lösungsmittel in einen Eimer und wanderte von Palette zu Palette und wuschÖl, Kühl- und Schmiermittel ab. Das farblose Zeug stank und machte ihn todmüde. Nach zwei Tagen bemerkte er, dass er wankte. Ein Arbeiter winkte ihm mit dem Zeigefinger und sagte, dass Lehrlinge während der Arbeitszeit kein Bier trinken dürften.

    Erstaunlich, dass sie die großen Zeichen der Veränderung nicht lesen konnten, die mit riesigen Buchstaben bereits an der Wand geschrieben standen. Dass in Berlin ein Student erschossen worden war, las Paul im Spiegel, aber er dachte nicht darüber nach. Berlin war weit weg. Benno Ohnesorg wurde nie ein Gesprächsthema zwischen ihm und Alexander.
    Aber die kleinen Zeichen verstand er sehr wohl. Miss Titty sagte, jetzt, wo er nicht mehr in der Lehrwerkstatt sei, solle er sie Anita nennen. Paul saß in ihrem Wohnzimmer auf der Couch und schaute den Beat-Club, als der Gott der Rebellion seinen Erzengel auf die Erde und – der modernen Zeit entsprechend – gleich ins Fernsehen schickte. Jimi Hendrix trat auf und spielte Hey Joe.
    Er spielte Gitarre, als sei sie eine Maschine oder besser: ein Elektrowerkzeug. Er schwenkte sie zum Verstärker, provozierte so absichtlich pfeifende Rückkopplungen, hob das Instrument hoch und spielte mit den Zähnen.
    Mit den Zähnen!
    Paul kniete sich vor den Fernseher.
    Hendrix spielte mit der Zunge und den Zähnen und verzog dabei keine Miene.
    Als sei das alles normal!
    »Das ist aber ein hübscher Bursche«, sagte Miss Titty, die Beatmusik nicht mochte.
    Sie verstand nichts. Und sah nichts. Sah nicht, dass Hendrix mit links spielte, sah nicht, wie er mit dem Daumen der linken Hand in die Saiten griff und deshalb seine Musik so klang, als würden zwei Gitarristen spielen.
    Sie hörte nicht, dass

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