Rebellen: Roman (German Edition)
Zeitung erschien zwei Wochen vor der Wahl des Schulsprechers. Alexanders Artikel wurde von den Schülern heiß diskutiert. In der großen Pause erntete er Schulterklopfen und stand plötzlich im Mittelpunkt. Er war jetzt selbst einernst zu nehmender Kandidat. Stefan Dreyer, so wurde ihm aus der Parallelklasse zugetragen, war wütend.
Am Abend sagte der Vater, er müsse mit ihm reden. In seinem Arbeitszimmer – das hieß, es ging um eine ernste Sache.
Der Vater setzte sich hinter den Schreibtisch, wies Alexander den Besucherstuhl davor zu, die Mutter setzte sich in den schweren englischen Ledersessel.
»Wir erhielten heute einen Anruf vom Rektor deines Gymnasiums«, eröffnete der Vater das Gespräch.
Die Mutter wurde unruhig und steckte sich eine Zigarette an.
Alexander blätterte in Gedanken durch die Klassenarbeiten der letzten Zeit. Alle Noten bewegten sich knapp um eine Eins, und selbst in Kunst, seinem schlechtesten Fach, hatte er eine Zwei.
»Kannst du dir denken, warum er mit uns reden wollte?«
»Keine Ahnung.«
»Er sagte uns, wir sollten besser auf dich aufpassen. Du würdest rätekommunistisches Gedankengut an der Schule verbreiten.«
»Ich? Rätekommunistisch?«
»Streitest du es ab?«
»Papa, das ist Unsinn.«
»Hast du den Artikel zur Schulsprecherwahl geschrieben?«
»Ja, schon, aber da steht nichts …«
»Rufst du dazu auf, dass die Versammlung der Schüler den Schulsprecher wählen soll und nicht die Versammlung der Klassensprecher?«
»Ja.«
»Hat dir jemand vorgesagt, was du in der Schülerzeitung schreiben sollst? Ein Referendar vielleicht?«
»Niemand, das ist mein Artikel. Ich hab ihn allein geschrieben.«
»Umso schlimmer. Alle Macht geht vom Volke aus und wird durch Parlamente ausgeübt. Das genau sollt ihr auch in der Schule lernen und einüben. Der Rektor macht sich Sorgen um deine Zukunft.«
»Aber niemand kennt den Schulsprecher, das jetzige Verfahren hat den großen Nachteil …«
»Schluss jetzt, Alexander. Wir wünschen keine Anrufe vom Rektor der Schule unseres Sohnes. Hast du das verstanden?«
»Ja, Mama.«
Die Schulsprecherversammlung wählte Stefan Dreyer mit einer Zweidrittelmehrheit zum Schulsprecher.
»Dass der Dreyer das geschafft hat, stinkt mir«, sagte Alexander zu Paul am selben Abend. Er war vor dem Abendessen ins Heim gekommen, und die beiden Freunde spielten eine Runde Tischfußball gegeneinander.
Es war das erste Spiel, das Alexander gewann.
32. Paul
Schrubben und schlichten, körnen und bohren, senken und entgraten, schleifen und schmirgeln, drehen und fräsen, ein Jahr lang – Metall lehrt Disziplin, Metall lässt dir Hornhäute an den Händen wachsen, Metall macht dich fertig, du denkst, du formst Metall, in Wirklichkeit formt es dich.
Aber es war in Ordnung. Er wollte Erfinder werden. Er wollte dem Waisenhaus entfliehen. Metall war der Schlüssel, und deshalb arbeitete er wie besessen, kam nach Feierabend in die Werkstatt zurück, und Eislinger stellte sich neben seine Werkbank, gab ihm Tipps, als sei er sein verdammter Privatlehrling.
Auch am Wochenende floh er aus dem Heim. Auf dem Beifahrersitz von Miss Tittys Cabriolet entdeckte er das Freiburger Umland, den Kaiserstuhl, den Feldberg, Hinterzarten, das Markgräflerland, sie fuhren ins Elsass und nach Basel, sie tranken Grauburgunder, Silvaner und Müller-Thurgau und pflückten Kirschen von den Bäumen in Wasenweiler.
Hinter dem Steuer ihres offenen Käfers saß sie aufrecht, lehnte sich niemals entspannt im Sitz zurück; sie fuhr so konzentriert, dass sie nicht merkte, wie sich die Zungenspitze zwischen ihrer kleinen Zahnlücke hindurch den Weg ins Freie suchte. Das Autofahren forderte ihre Aufmerksamkeit so vollständig, dass Paul vom Beifahrersitz ungeniert ihren Busen betrachten konnte, der sich erstaunlicherweise wie eine massive Burgmauer vor ihr auftürmte und nicht aussah, als würden sich dort zwei aufregende lebendige Brüste befinden.
Manchmal wäre es ihm recht gewesen, sie hätte seine Erektion bemerkt, den schmerzhaft hart gewordenen Schwanz, der sich am Stoff der Cordhose rieb und der eigentlich nicht zu übersehen war, aber Miss Titty war nicht empfänglich für diese Dinge. Sie saß aufrecht und konzentriert hinter dem Steuer, und das Einzige, was sie interessierte, war, wie sie heil um die nächste Kurve kam.
Das Ende des ersten Lehrjahres bedeutete auch Abschied von der Lehrwerkstatt und Abschied von Eislinger. Am letzten Tag arbeiteten sie wie gewöhnlich,
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