Rebellen: Roman (German Edition)
euren Bänken?«
Stefan Dreyer schnaubte, wollte etwas sagen, aber da standen schon einige seiner Mitschüler auf und gingen mit steifen Schritten zur Tür. Was blieb ihm anderes übrig, als sich selbst mit widerwilligem Gesicht aus der ersten Reihe zu schrauben.
McCartney!
Lächerlich.
The time is right for fighting in the street, boy
Sie zogen um die Ecke zum Rotteck-Gymnasium.
»Rauskommen, rauskommen!«
Auch hier: Sie zogen von Klasse zu Klasse, einmal durch den großen Bau, dann war das Rotteck leer.
Das Highlight, das absolute Highlight, das wirklich Allergrößte war das Goethe-Gymnasium. Die Mädchenschule!
Der Haupteingang am Holzmarkt war verrammelt. EinigeJungs rüttelten und drückten vergebens an der Tür. Ein paar von ihnen rannten auf den Schulhof, andere die Adelhauser Straße entlang. Sie klapperten die Nebeneingänge ab. Vergebens. Die Lehrer schützten ihre Schäfchen. Alle Türen abgeschlossen.
»Kommt raus! Kommt raus!«
Nur ein Gesicht zeigte sich an einem Fenster. Für ein paar Sekunden. Dann hatte eine Lehrerin die Schülerin wohl an ihren Platz zurückgezerrt. Aber das genügte, um den Chor anschwellen zu lassen: »Kommt raus! Kommt raus!«
Nichts rührte sich. Nicht einmal mehr ein Gesicht am Fenster.
Ein Polizeiwagen fuhr vorbei.
Da rief jemand: »Das Kellerfenster!«
Zu zweit, zu dritt drängten sie sich durch das schmale Fenster wie eine Horde Murmeltiere beim Anflug eines Adlers.
Eine halbe Stunde später war auch das Goethe leer.
Sechs Stunden lang blockierten Jugendliche an diesem Tag die Fahrbahn. Es war nun nicht mehr die überschaubare Menge vom Vortag.
Es waren viele, richtig viele.
»Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei! Bitte räumen Sie die Fahrbahn.«
Niemand kümmerte sich darum.
Ein Stadtrat wagte sich an den Bertoldsbrunnen.
Einer! Einer von achtundvierzig.
Stadtrat Fülgraff diskutierte mit dem Studenten mit den roten Haaren und dem Megafon. Alexander stellte sich neben die beiden und hörte zu. Der Stadtrat rief zur Mäßigung auf.
Nach der Arbeit tauchte Paul mit einer Gruppe Heppeler-Lehrlinge auf.
»Hast du so etwas schon einmal erlebt?«
Arm in Arm schritten sie die Kaiser-Joseph-Straße ab. Eng verbunden. Beste Freunde.
Morgen würden sie wieder hier sein.
38. Paul
Es war blanker Hass.
Meister Würtele: »Totschlagen sollte man die. Warum setzen die sich wegen ein paar Groschen auf die Straßen?«
Paul: »Mir fehlen die paar Groschen.«
Meister Würtele: »Die werden doch alle aus dem Osten bezahlt.«
Paul: »Das glaub ich nicht.«
Meister Würtele: »Machst du etwa auch da mit, mit deinen langen Haaren? Dann kannst gleich hier deinen Koffer packen.«
Paul zog es vor, die Diskussion jetzt nicht fortzuführen. Sicherheitshalber.
Doch komisch, jeder in der Firma redete davon, dass »die Studenten« (wieso, es waren hauptsächlich Pennäler und Lehrlinge) aus dem Osten bezahlt werden. Sogar Miss Titty, die er nur noch selten sah, erklärte ihm, dass diese ungewaschenen, langhaarigen Gammler alle Geld »von drüben« bekämen.
Ob da doch was dran war? Da jeder bei Heppeler das zu glauben schien, wurde er unsicher. Am dritten Tag war er wieder am Bertoldsbrunnen. Der rothaarige Student verteilte Flugblätter.
»Sag mal ehrlich, wirst du aus dem Osten bezahlt?«
Verblüfft schaute ihn der Student an. »Wart mal«, sagte er,dann griff er in die Hosentasche und zog einen Groschen hervor und drückte ihn Paul in die Hand. »Kannst du behalten. Den hab ich von Ulbricht persönlich bekommen.« Dann verteilte er weiter seine Zettel.
»Also, Herr Würtele, ich glaub nicht, dass die aus dem Osten bezahlt werden.«
»Gehörst du auch zu denen, die Leute von der Arbeit abhalten und ›Heil Moskau‹ schreien?«
Er hätte gerne gesagt, dass am Bertoldsbrunnen niemand »Heil Moskau« rief, aber der rote Kopf des Meisters signalisierte ihm, dass es sicherer war zu schweigen. Würtele schickte ihn zum Wareneingang.
Aber es war nicht nur der Meister Würtele. Ihm schien, als würde jeder, wirklich jeder Erwachsene die Jugendlichen hassen.
»Totschlagen sollte man die«, hörte er in den Produktionshallen. »Erschießen«, in den Büros. »Alle ab in den Osten, ohne Rückfahrkarte«, hörte er auf der Straße. Noch nie hatte er so viele Gewaltandrohungen gehört, seit er Moppel entronnen war.
»Achtung, Achtung! Hier spricht die Polizei. Räumen Sie die Straße!«
Niemand kümmerte sich darum. Rückte die Polizei an, standen die
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