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Rebellen: Roman (German Edition)

Rebellen: Roman (German Edition)

Titel: Rebellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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erstaunlich großen Vorraum. Links sahen sie ein hohes Regal. In der unteren Ebene reihte sich Aktenordner an Aktenordner. In den Fächern darüber lagen Broschüren, Zeitungen, Infomaterial aller Art. Auf dem Boden wellte sich braun-beiges Linoleum.
    Genosse Müller saß hinter seinem Schreibtisch und telefonierte. Er winkte die beiden Freunde heran und deutete auf die Stühle, die um einen kleinen Tisch gruppiert waren. Paul und Alexander setzten sich.
    »Was gibt’s? Was führt euch zu mir?«, fragte er mit einer angenehm tiefen Stimme, als er den Hörer zurück auf den Apparat geknallt hatte. Er stand auf und setzte sich zu ihnen an den kleinen Tisch.
    Müller trug einen blauen Anzug, ein weißes Hemd, eine knallrote Krawatte, im Kragen des Jacketts steckte ein kleines silbernes Parteiabzeichen. Er hatte schwarze kurze Haare, ein akkurat gestutzter Bart wuchs ihm ellipsenförmig um den Mund.
    »Genosse Müller«, sagte Alexander und rutschte auf dem Stuhl nach vorne. »Wir beide, mein Freund Paul und ich, möchten bei den Falken mitmachen.«
    Müller setzte sich aufrecht. Seine Lippen kräuselten sich, und einige der seitlichen Barthaare schoben sich in den Mund. Paul bemerkte, dass er darauf kaute.
    »So, so, bei den Falken. Seid ihr Schüler? Oder was macht ihr?«
    »Ich gehe noch aufs Kepler. Nächstes Jahr mache ich Abitur. Paul ist Lehrling bei Heppeler.«
    »Zweites Lehrjahr. Nächstes Jahr mache ich die Gesellenprüfung«, sagte Paul. »Wir würden hier gern so einen Mitgliedsantrag unterschreiben. Haben Sie so was da?«

    »Heppeler. Da kennst du bestimmt den Kollegen Horst Wagner. Den Betriebsratschef. Der Kollege ist auch ein Genosse.«
    Paul verzog leicht das Gesicht.
    Genosse Müller glättete mit der rechten Hand den glatten Bart. »Ihr kommt bestimmt vom Bertoldsbrunnen?«
    Paul und Alexander nickten gleichzeitig.
    Genosse Müller strich schneller über den Bart. »Einen Mitgliedsantrag wollt ihr also? Ja, das ist nicht so einfach. Habt ihr eure Personalausweise dabei?«
    »Personalausweise?«
    »Ja, so eine Mitgliedschaft muss geprüft werden. Wir müssen ja sicher sein, dass ihr wirklich diejenigen seid, als die ihr euch ausgebt.« Er lachte. »Vorerst könntet ihr Plakate kleben.«
    »Plakate kleben?«
    »Ja, und dem Kassierer zur Hand gehen. Helfende Hände sind immer willkommen.«
    Paul sah Alexander mit einem Lass-uns-hier-verschwinden-Blick an.
    Doch Alexander gab noch nicht auf. »Wir wollen eher Aktionen … Sozialismus und so weiter.«
    Müller erhob sich. »Kommt doch nächste Woche noch einmal mit euren Ausweisen vorbei.«
    Dann standen sie wieder auf der Straße.
    »Eins ist sicher«, sagte Paul. »Die wollen uns nicht.«
    Alexander zog den Kopf ein: »So sieht’s aus.«

40. Alexander heute
    Seltsam, dass er gerade jetzt an die Schlacht von damals dachte.
    Februar 1968; das Jahr vor seinem Abitur.
    Er stoppte den Porsche auf dem Standstreifen, starrte aus dem Fenster und dachte nach. Alles war damals wie zwangsläufig geschehen, hatte Bedeutung gewonnen, war groß geworden und wichtig.
    Sie hatten versucht, mit dem Spiegel zum zweiten Mal die Besatzung der Wasserwerfer zu blenden. Es gelang, aber der zweite Wasserwerfer richtete dann beide Rohre auf den Spiegel.
    Sie kauften einen weiteren Spiegel. Paul fing das Licht mit dem ersten und leitete es zu dem zweiten, den Alexander in beiden Händen hielt und mit dem er versuchte, das Licht auf die große Scheibe des Mercedes zu lenken. Es gelang zweimal, meist jedoch nicht.
    Paul lief nach Feierabend in die Lehrwerkstatt hinüber und machte sich mit Erlaubnis von Eislinger, der keine Ahnung hatte, worum es ging, daran, den Rahmen für einen großen Hohlspiegel zu bauen. Doch als er mit seinem Werk zufrieden war, waren die Auseinandersetzungen in der Stadt zu Ende. Aber Paul baute und schraubte weiter. Jetzt interessierte ihn die Frage ganz allgemein, wie Licht von Spiegel zu Spiegel geleitet werden konnte. Er war nun nicht mehrnur an der demonstrationspraktischen, sondern auch an der technischen Seite der Angelegenheit interessiert.
    Alexander merkte, wie er in der Erinnerung an damals den Kopf schüttelte. Falsches Krisenmanagement. Es wäre einfach gewesen, den Konflikt zu entschärfen. Der Oberbürgermeister hätte mit uns reden sollen, der Stadtrat hätte die Jugendlichen als Gesprächspartner ernst nehmen sollen.
    Er startete den Porsche.
    Aber sie fanden es skandalös, dass Jugendliche, Halbwüchsige für ihre Interessen auf die

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