Rebellen: Roman (German Edition)
war aufregend, aber sobald er mir meinen Orgasmus besorgt hatte, ertrug ich ihn nicht mehr im selben Bett. Was eben noch begehrenswert und heiß gewesen war, war jetzt lästiges Fleisch. Er lag behäbig auf dem Rücken, die Arme hinter dem Kopf gekreuzt, der Schwanz hing nutzlos zur Seite. Meist sprang ich dann sofort ins Bad und fühlte mich schäbig.
Je dogmatischer das Politische wurde, desto mehr verzog sich die Liebe. Das galt für alle aus der Clique. Früher wares noch ein munteres Beziehungskarussell gewesen, das sich lustig drehte, doch je härter die Ideologien wurden, desto langsamer und mühevoller kreiste es; schließlich blieb es stehen, und die Paare, die zu diesem Zeitpunkt gerade das Bett miteinander teilten, blieben zusammen. Bei Paul war es Elli. Statt freier Liebe galt nun die revolutionäre Kameradschaftsbeziehung. Gemeinsam kämpfen Frau und Mann gegen den Kapitalismus an. Das Erich-und-Margot-Honecker-Modell – scheußlich.
Alexander wollte sich nur vorübergehend um die Firma seines Vaters kümmern. Eine Erbschaftssache, die er zu regeln hatte. Dann fand er dort das Thema seiner Doktorarbeit: Wandel beruflicher Rollenbilder innerhalb eines sich technologisch wandelnden Familienbetriebs.
Es war interessant: Alexanders Abschied von der K-Gruppe verlief schleichend, aber ziemlich rasant. Unter dem Vorwand seiner Promotion zog er sich Stück für Stück aus dem Revolutionsgeschäft zurück. Er fand einfach eine neue Perspektive. Statt Einschätzungen zur Weltlage schrieb er jetzt Papiere über Blechverarbeitung, statt Flugblätter verfasste er Geschäftsberichte für die Sparkasse. Und nach und nach war er von dem einen so besessen wie vorher von dem anderen.
»Der Unterschied ist gar nicht so groß«, sagte er mir mal. »Wenn du Revolution machst, musst du Leute zu Aktionen bewegen, auf die sie von alleine nicht kämen. Wenn du Firmenchef bist, ist es genauso.«
Auf gewisse Weise bin ich dankbar, dass mein Mann diesen gleitenden Übergang geschafft hat. Bei Paul lief es nicht so glatt.
70. Toni
Ich erinnere mich noch genau an den Abend, als ich zu Paul lief, Sex im Kopf hatte und zu meiner Überraschung Strunz bei ihm saß.
Sie waren beide ziemlich aufgeregt. Heppeler wollte im ganzen Unternehmen Leistungslöhne einführen, auch im Werkzeugbau und in der Versuchsabteilung, »bei den Arbeiteraristokraten«, sagte Strunz. Es sei sonnenklar, dass dies der Anfang von Rationalisierungen sei, und am Ende stünden Entlassungen. Strunz und Paul waren damals Betriebsräte, aber mit ihrer Meinung in der Minderheit. Die Mehrheit, angeführt von Wagner, dem Betriebsratsfürsten, habe dem Plan der Geschäftsleitung zugestimmt, und nun hätten sich die betroffenen Kollegen an sie gewandt. »Betriebsratsfürst« und »Arbeiteraristokratie« – interessante Wortwahl, aber ich hoffte, dass Strunz endlich verschwand und ich Paul für mich allein hatte.
Aber Strunz ging nicht. Sie entwarfen einen Text für eine Unterschriftenaktion, in der der Betriebsratsfürst aufgefordert wurde, sofort eine Abteilungsversammlung einzuberufen. Sie beurteilten die Ausgangslage allerdings skeptisch. Die Frage war, ob die Kollegen aus der Montage, der Fräserei und Dreherei, die lange schon mit Vorgabezeiten arbeiteten, solidarisch sein würden.
Ich war damals in großer Sorge um Paul, weil er in den letzten Monaten immer häufiger stürzte. Er sagte, dass es sich so anfühlte, als würde er nicht mehr spüren, wie sein Fuß den Boden berührte, es schien ihm, als sinke er in den Boden ein. Für eine Sekunde setzten seine Nerven im Fuß aus, und wenn er in dieser Sekunde auftrat, fiel er. Wir gingen nebeneinander in der Stadt, untergehakt, und plötzlich stolperte er oder fiel der Länge nach auf den Bürgersteig. Dennoch ging er nicht zum Arzt. Ich bat, ich flehte, ohne Erfolg. Bis ich das Radikalmittel anwandte: kein Sex, bevor wir nicht wissen, was mit dir los ist.
Dann endlich machte er einen Termin beim Hausarzt, und der überwies ihn in die Neurologische Uniklinik. Ich ging mit. Sie setzten ihm Elektroden an den Kopf und an die Füße und maßen die Zeit, die der Strom auf dieser Strecke brauchte. Nach ein paar Tagen musste er wieder erscheinen, dann zogen sie ihm aus der Wade eine Nervenbahn und untersuchten sie. Diagnose: chronische Nervenentzündung in beiden Beinen. Ursachen? Schulterzucken.
Damals wussten wir noch nichts von der Gefährlichkeit von Trichlorethylen, mit dem Paul bei der Arbeit immer
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