Rebellen: Roman (German Edition)
legte.
Die Polizei hatte sich auf den hinteren Teil des riesigen Geländes zurückgezogen und stand nun in einer langen Reihe vor ihnen, eingeschüchtert, hinter ihr nur der Zaun und der Rhein, vor ihnen achtundzwanzigtausend Menschen, die langsam auf sie zukamen.
Alexander klaubte einige Steine vom Boden auf. Er wollte eine revolutionäre Tat vollbringen, die Scharte auswetzen, Toni zeigen, dass er auch Massen führen konnte. Gerade als er den Arm hob, um einen Stein auf die Polizisten zu schleudern, hielt Paul ihn fest.
»Nicht werfen, Alexander. Sieh nur, sie haben Angst, sie halten die Hunde an der kurzen Leine. Wenn wir sie jetzt steinigen, müssen sie den Knüppel ziehen. Unsere Übermacht reicht. Keine Steine.«
Alexander ließ den Arm sinken. Toni nahm ihm den Stein aus der Hand und warf ihn auf den Boden. Und tatsächlich: Nach ein paar Minuten zogen die Polizisten ab. Niemand hinderte sie daran.
Später erklärte der baden-württembergische Ministerpräsident, der Bau des Kernkraftwerks sei nicht mehr notwendig. Die Schlacht um Wyhl war gewonnen.
Erstaunlicherweise hatten sich innerhalb des maoistischen KBW Führungsstrukturen entwickelt, die er später in Firmen- und Konzernvorständen wiederentdeckte. Es gab zwei Führungskader an der Spitze, zwei ehemalige Heidelberger Studenten. Der eine hieß Joki Öler und der andere Manfred Gabler. Der eine gab den nachdenklichen Strategen, der andere den Haudrauf. Der Guru und der Kommissar, meinte Toni. Beide entwickelten das, was er später das Syndrom der Zentrale nannte und in zahlreichen Vorständen wiederfand. Öler und Gabler hielten alle in den Ortsgruppen für ausgemachte Idioten, die unfähig waren, die geniale Strategie der Zentrale richtig umzusetzen. Deshalb mussten sie die unteren Chargen »anleiten«. Aber die schafften es nie, Politik zur Zufriedenheit des Zentralkomitees zu entwickeln. In Wahrheit stieß sich die Wirklichkeit an den revolutionären Vorgaben. Alexander, der oft keine einzige Kommunistische Volkszeitung vor dem Werkstor bei Intermetall oder Hüttinger verkaufte, legte das Geld aus eigener Tasche dazu und erreichte so die gewünschte Vorgabe.
Alexander hörte heute seinen Niederlassungsleitern aufmerksam zu. Er nahm sie ernst. Er war der Guru.
Er erinnerte sich noch genau an die Konferenz, in der Mike abgesetzt wurde. Joki Öler war nach Freiburg gekommen und warf Mike rechte Abweichungen im linken Gewand vor. Als Paul einen Einwand wagte, sagte Öler, er verfolge eine Linie der linken Abweichung im rechten Gewand. Paul schwieg verblüfft, und nun hatte keiner mehr den Mut, etwas einzuwenden. Mike wurde abgewählt, und Öler schlug Ernst als neuen Vorsitzenden der Freiburger Ortsgruppe vor. Darüber waren alle verblüfft. Ernst selbst am meisten. Paul stimmte als Einziger gegen ihn und hatte nun einen Feind – und die Zentrale einen willfährigen Statthalter und jemanden, der sich ab sofort mit ganzer Kraft der Jagd auf Abweichler widmete.
Dass sie diesen Wahnsinn damals nicht sahen! Gabler vom ZK gefiel nicht, dass die Genossen sich Autos kauften, wie es ihnen gerade einfiel. Es wurde beschlossen, dass alle Genossen eine einheitliche Marke fahren sollten. Die strategische Überlegung dahinter war: Es sollte ein Wagen mit dickem Blech sein, der stabil genug war, um im Fall der Revolution ein Maschinengewehr auf dem Dach montieren zu können. Die Wahl fiel auf die Marke Saab. Erstaunlicherweise schien das gut zu den Plänen dieser Firma zu passen, die eine Marktoffensive in Deutschland vorhatte. So wurde mansich einig. Alle Ortsgruppen wurden angehalten, sich einen Saab zu kaufen. Das ZK bekam wunderschöne große Wagen mit Cockpits, die aussahen wie in einem Flugzeug. Öler und Gabler, mit ihrem feinen Gespür für Eigentumsverhältnisse, wollten nicht, dass diese schöne Flotte den Genossen gehörte, die die Fahrzeuge bezahlt hatten, sondern kassierten die Fahrzeugscheine direkt bei Lieferung ein und ließen die Autos auf den ZK -eigenen Verlag eintragen. So kam es, dass dieser Verlag, der drei Angestellte beschäftigte, 153 Firmenfahrzeuge besaß.
Irgendwann monierte das Finanzamt Frankfurt diese Konstruktion. Alexander erinnerte sich noch an den wütenden Artikel in der Kommunistischen Volkszeitung über diesen hinterhältigen Angriff der herrschenden Klasse. Immerhin erhielten die Genossen, die die Saabs bezahlt hatten, auf diesem Weg auch die Fahrzeugscheine und damit das Eigentum an den Autos zurück.
Ja, er hatte
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