Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)
nicht.« Sie pausierte. »Sie fragen sich jetzt sicher, ob ich es bedaure. Ich bedaure meinen Knöchel, meinen Kopf und Ihr Gesicht, aber nicht diese Woche.«
Byron verspürte einen leisen Stich. »Wenn mein Gesicht der Preis für unsere gemeinsamen Tage ist, dann bezahle ich ihn gern.«
Der harte Zug um ihre Augen und ihren Mund verschwand für einen Moment. »Danke.«
Und sie aßen schweigend fertig.
Victoria saß wieder auf der Fensterbank und Raeburn auf einem Stuhl. Victoria hatte Annie rufen wollen, ihr beim Ankleiden behilflich zu sein, aber Raeburn hatte darauf bestanden, das persönlich zu erledigen. In gewisser Weise war es sehr viel peinlicher, sich von ihm anziehen zu lassen, als sich von ihm ausziehen zu lassen, und dass er es ebenso fachkundig erledigte, machte es ihr auch nicht leichter. Im Dunkel, in der Hitze des Liebesakts, war es leicht, unbefangen zu sein. Doch das Licht, das durch den Spalt im Vorhang fiel, enthüllte weit mehr von ihr, als er während ihrer nächtlichen Eskapaden zu sehen bekommen hatte, ohne den Nebel der Leidenschaft. Victoria fürchtete, dass Raeburn ihren knochigen, alternden Körper unattraktiv fand.
Aber es gab keine Anzeichen, dass er irgendetwas anderes als Fürsorglichkeit empfand, bis sie wieder bequem auf ihrer Fensterbank ruhte, und als er zu ihr aufsah, sprach das leise Feuer in seinen Augen von Lust und nicht von Missfallen.
»Sie hätten mir inzwischen eigentlich ein Dutzend Fragen stellen müssen«, sagte er.
Victoria fuhr zusammen und tat gar nicht erst so, als verstünde sie nicht. »Ich habe darauf vertraut, dass Sie mir all das in Ihrem eigenen Rhythmus erklären.«
Raeburn schüttelte den Kopf. »Nicht mal ein Heiliger brächte die Geduld auf, darauf zu warten.«
»Sie haben das Thema gestern Nacht aufgebracht«, erklärte sie. »Es war Ihre Entscheidung. Keiner hätte Sie dazu zwingen können.«
»Auch wenn es sich genau danach angefühlt hat.« Ein spöttisches Lächeln huschte über sein verwüstetes Gesicht. Victoria stellte fest, dass sie ihn heute Morgen ansehen konnte, ohne dass sie schmerzliches Mitgefühl durchzuckte, doch sein Anblick bedrückte sie immer noch. Er seufzte. »So verständnisvoll wie Sie ist kaum jemand gewesen.«
Victoria erkannte eine Aufforderung, wenn sie eine zu hören bekam, und gab einen fragenden Laut von sich.
Raeburn sah weg, starrte mit leerem Blick auf den Teppich, der die halbe Wand bedeckte. »Ich hatte einmal einen Freund«, sagte er mit tonloser Stimme. »Sein Name war Will. Wir waren noch kleine Jungen, also hätte ich vielleicht nachsichtiger sein sollen. Aber er kannte mich besser als jeder andere. Er war dabei, als es mir eines Tages das Gesicht verbrannt hat. Wir sind im Freien eingeschlafen, und als ich aufgewacht bin, war ich« – er wedelte mit der Hand um sein Gesicht – »schlimmer entstellt als jetzt.«
»Und er ist gleichfalls aufgewacht und hat nicht gut reagiert«, mutmaßte Victoria. Der Anblick musste für den kleinen Jungen ein Schock gewesen sein, ein entsetzlicher Schock.
»Als ich versucht habe, es ihm zu erklären, ist er davongelaufen. Er hat nie mehr ein Wort mit mir gesprochen.«
Sie sah ihn einen Moment lang durchdringend an, aber seine Miene war ausdruckslos, und er machte nicht den Eindruck, als habe er übertrieben. Wie konnte ein einzelner Vorfall, so traumatisch er auch gewesen sein mochte, eine derartige Reaktion provozieren? »Wirklich nie?«
»Nie.« Sein Blick wanderte zur Seite. »Der Bruch war nicht so dramatisch, wie es sich anhört. Er ist nach Harrow zur Schule gegangen, bevor ich mich so weit erholt hatte, dass ich wieder das Zimmer verlassen konnte.«
»Haben Sie je versucht, noch einmal mit ihm zu reden? Sie sagten, er sei Ihr bester Freund gewesen.«
»Mein bester Freund, ja. Nein, habe ich nicht. Er ist mir schließlich aus dem Weg gegangen …« Raeburn hielt mit einem derben Kopfschütteln inne.
Victoria suchte nach einer passenden Formulierung. »Ist er Ihnen je zuvor oberflächlich erschienen? Oder… boshaft? Oder feige?«
»Nein. Er war der beste Freund, den man sich vorstellen konnte.« Seine Stimme triefte vor Ironie, aber sie hörte seinen Schmerz heraus.
»Sie haben ihn also nie wiedergesehen?«
»Wenn er Ferien hatte und nachdem er sein Studium in Oxford abgeschlossen hatte. Wir haben uns in denselben Kreisen bewegt.«
»Und er hat Ihnen nie ein Zeichen gegeben? Von Reue? Oder schlechtem Gewissen? Oder was auch immer?« Wenn sie so
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