Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)
gute Freunde gewesen waren …
Raeburn stockte zum ersten Mal, dann sagte er: »Es gab Zeiten, da dachte ich, er werde gleich zu mir herüberkommen, wenn ich ihn ertappt hatte, wie er mich mit diesem Ausdruck von … ach, ich weiß nicht... angesehen hat. Er wirkte beinahe traurig.«
»Sie sagten, Sie seien Schuljungen gewesen – Kinder. Vielleicht wusste er, dass er sich schlecht benommen hatte, und hat sich zu sehr geschämt. Kinder tun dumme, verletzende Dinge, die ihnen hinterher Leid tun, denen sie sich aber nicht einmal als Erwachsene stellen können. Und manchmal weigern sie sich so lange, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, dass es irgendwann unmöglich zu sein scheint.« Das wusste er doch sicher. Er musste sich lange Zeit mit diesen alten Erinnerungen befasst haben.
Raeburns Hände schlossen sich mit einer solchen Gewalt um die Armlehnen seines Stuhls, dass Victoria fürchtete, er werde den Stuhl zerbrechen.
»Er hat Charlotte geheiratet!«
Er schrie die Worte förmlich in die Stille, und Victoria schaute auf ihre eigenen Hände hinab, weil das Gefühlschaos in Raeburns Gesicht sie verlegen machte. »Die Pfarrerstochter«, erinnerte sie sich, leise murmelnd. »Glauben Sie wirklich, dass er sich für Charlotte entschieden hat, um Ihnen wehzutun?«
Raeburn sagte lange Zeit nichts, dann schüttelte er den Kopf. »Spielt das eine Rolle? Er wusste, dass es mich verletzen würde. Wenn ihm das beim ersten Mal etwas ausgemacht hätte …«
»… dann hätte er es nicht getan, glauben Sie«, brachte sie den Satz an seiner Stelle zu Ende. »Ich verstehe.« Ihr fiel nichts ein, womit sie ihn hätte trösten können. Sie drehte sich weg und betrachtete durch den Spalt im Vorhang die Auffahrt und den Rasen.
»Ich hätte sie ohnehin verloren«, sagte Raeburn schließlich. »Ich habe geglaubt, sie zu lieben, aber die Frage, die ich immer wieder in ihren Augen lesen konnte, habe ich ihr nie beantwortet. Sie sind die Einzige, die mutig genug war, sie mir zu stellen. Mit jedem Tag, den ich schwieg, hat sich Charlotte mehr von mir distanziert. Vielleicht hat Will das erkannt. Vielleicht war es eine Gnade für mich, dass er sie geheiratet hat, auch wenn ich es nicht wusste. Auf diese Weise ist es mir jedenfalls erspart geblieben, meine Liebe einen schleichenden Tod sterben zu sehen. Ich habe mir das schon manchmal gedacht, aber ein wirklicher Trost ist es auch nicht.«
»Es... es tut mir so Leid«, sagte Victoria sanft.
Raeburn seufzte. »Ich hätte das alles schon längst hinter mir lassen sollen, aber ich konnte nicht. Ich dachte, dass, abgesehen von denen, die bei mir angestellt sind, jeder so reagieren würde wie Will. Das mag hirnverbrannt gewesen sein, aber ich war davon überzeugt. Sie haben mir bewiesen, dass ich mich geirrt habe, zumindest in einem Fall, und ich danke Ihnen dafür. Aber ich bin nicht sicher, ob jemand anderes mich so akzeptieren könnte, wie Sie es tun. Dennoch, Ihr Verständnis allein hat ausgereicht, mein Leben zu verändern.«
Victoria schaute ihn wieder an. Er wirkte plötzlich so abgekämpft, so erschöpft und so viel weniger wuchtig, wie er da auf seinen Stuhl saß. »Ich hatte niemals vor, irgendetwas zu verändern.«
Er seufzte. »Ah, Circe, Ihre Berührung hat Zauberkräfte.« Er lächelte sie erschöpft an, und sie erwiderte sein Lächeln, litt um ihn. Sie wusste nicht, was sie noch für ihn hätte tun können, doch sie klopfte zögernd auf das Kissen neben sich.
Er setzte sich zu ihr, und als sie fast scheu seine Hand nahm, griff er fest zu und verschränkte die Finger mit ihren. Die Schwielen an seinen Händen hatten nichts Rätselhaftes mehr – sie erinnerte sich lebhaft daran, wie seine Schultermuskulatur sich gewölbt hatte, als er die indianischen Keulen geschwungen hatte -, aber sie hatten immer noch etwas Beruhigendes und waren nicht weniger warm oder kraftvoll, nur weil ihr Geheimnis gelöst war.
»Es war nicht immer so«, sagte er. »Als ich noch ganz klein war, habe ich mich nicht mehr verbrannt als alle anderen Kinder auch. Ich kann mich noch erinnern, wie ich auf einer Wiese gestanden habe und die Sonne auf mich herunterschien. Und es ging mir gut .«
»Können Sie denn nie bei Tageslicht nach draußen? Wirklich nie?«, fragte Victoria und versuchte sich vorzustellen, wie es sein musste, ein ganzes Leben im Dunkeln zu verbringen.
»Sie haben meine Grenzen gesehen. Wenn es sehr bedeckt ist oder regnet und ich sehr vorsichtig bin, kann ich nach drau ßen. In
Weitere Kostenlose Bücher