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Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Rebellin der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce
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und Raeburn die schweren Vorhänge darunter zugezogen lassen wollte. Am Ende des Speisezimmers befand sich eine geschlossene Tür, am Ende des Salons ebenfalls, nur war diese offen und sonnenhell. Dahinter war ein Gerüst aus rohen Balken zu erkennen – der Anbau.
    Raeburn stakste langsam durch die Räume, während Victoria ihm verwirrt zusah. Sie hatte mehr und mehr das Gefühl, dass das Haus ein Abbild des Herzogs darstellte, das mit derart präzisen Details ausgestattet war, dass jede seiner Eigenheiten offen gelegt wurde, wenn man nur wusste, wie man es richtig betrachtete.
    Als Raeburn zu ihr zurückkehrte, schüttelte sie den Kopf und gab es auf. Er eskortierte sie zu der Treppe, die sich an der langen Wand des Salons nach oben schwang.
    »Naivität«, sagte er sinnend, als sie Seite an Seite auf die Stufen traten. Victoria erstarrte und presste die Lippen zusammen, als sie an die Diskussion von vorhin dachte, sagte aber nichts. »Ich bezweifle, dass mir dieser Luxus je vergönnt war. Ich habe Rückschläge erlitten, aber niemals eine Enttäuschung.«
    »Wenn die Erwartungen niedrig genug sind, kann man auch nicht enttäuscht werden«, erwiderte sie bissig. »Aber das ist keine Art zu leben.«
    Raeburn sah sie von der Seite an. »Lady Victoria, Sie überraschen mich. Ich dachte, Ihr Optimismus sei mittlerweile versiegt.«
    Sie lächelte kalt. »Der Optimismus vielleicht, die Erwartungen nicht.«
    Er schnaubte ungläubig. »Erwartungen zu hegen ist optimistisch.«
    Er versuchte, sich mit kruder Philosophie unter ihrer Tür durchzuschleichen, weil es nicht geklappt hatte, die Wände einzureißen. Victoria zog die Augenbrauen zusammen. Sie konnten das Spiel auch zu zweit spielen. »Dann können nicht einmal Sie sich einen wahren Pessimisten nennen, denn Sie sind ein zu praktisch veranlagter Mann, um sich auf ein so ambitioniertes Projekt wie dieses Haus einzulassen, wenn Sie nicht an seine Fertigstellung glauben könnten.«
    Raeburn ließ sich zu keiner Antwort herab. Sie erreichten schweigend das obere Ende der Treppe, er ließ sie los und ging voran.
    Die Luft war stauberfüllt, und das Hämmern war laut und nah. Raeburn ging den Gang hinunter, ohne nachzusehen, ob sie ihm folgte. Er blieb an jeder Tür stehen und wechselte ein paar Worte mit den Handwerkern, falls welche im Raum waren, oder warf einen konzentrierten Blick in den Raum, falls keine da waren. Er benahm sich, als sei Victoria nicht bei ihm. Sie nutzte seine Unaufmerksamkeit, nahm sich Zeit und überlegte sich, wie die einzelnen Räume wohl genutzt werden würden.
    Der erste Raum war groß und fensterlos mit einer Tür, die zu zwei kleineren Zimmern und einem größeren Raum führte, der auf den hinteren Garten hinaussah – das Schlafgemach des Herzogs und der Herzogin. Auch die Suiten der Kinder waren erkennbar. Dann folgten nacheinander einzelne Räume – Schlafzimmer vermutlich, und dann zwei Räume, bei denen es sich um das Schulzimmer und das Zimmer der Gouvernante handeln musste.
    Hatte man die Räume, Raeburns namenlose Geliebten im Hinterkopf, ausgestattet? Und hoffte er immer noch, sie mit seiner Familie zu bewohnen? Der Herzog, umgeben von seinen engelsgleichen Kindern? Der Gedanke erschien ihr befremdlich, lächerlich, nahezu unmöglich. Und dennoch konfrontierte das unbestreitbare Vorhandensein der Räume Victoria mit der Tatsache, dass er solche Träume zumindest gehegt hatte.
    Victoria schloss am Ende des Ganges zu Raeburn auf, wo sich zwei leer stehende Räume befanden, aus deren Wände Rohre ragten.
    »Ich habe zwei Jahre lang Sitzbäder genossen«, erläuterte ihr Raeburn, der ihre Anwesenheit plötzlich wieder zur Kenntnis nahm. »Sobald der Frühling da ist, ist damit hoffentlich Schluss.«
    »Werden das Wasserklosetts?«, fragte Victoria. Das Londoner Stadthaus ihrer Familie verfügte über diesen Luxus, aber auf Rushworth mussten sie immer noch mit Nachtöpfen auskommen und das Badewasser aus der Küche heraufbringen lassen.
    »In der Tat«, sagte er. »Eine kleine Annehmlichkeit.« Er drehte sich um. »Und jetzt muss ich sehen, welche Fortschritte sie im Anbau machen.«
    »Was bauen die da?«, fragte Victoria neugierig, obwohl das nicht ihre Art war.
    »Einen Salon, eine Bibliothek und ein Arbeitszimmer. Der Anbau wird dem Küchenflügel auf der anderen Seite entsprechen, nur dass aus dem Salon Flügeltüren auf die Terrasse führen.«
    Das nächste kleine Indiz, dass Raeburn das Haus nicht für sich allein herrichten ließ.

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