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Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Rebellin der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce
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zukam, und schien sich ihrer Verletzlichkeit bewusst zu sein.
    Byron sagte nichts, sondern griff nur hinter sie und zog die Vorhänge zu. Er fing ihren Blick auf, doch sie schwieg lange Sekunden lang nur. Dann seufzte sie in die Düsternis und wedelte mit dem Papier.
    »Meine Mutter«, sagte sie. »Sie hat ihn am Tag meiner Abreise geschrieben.«
    »Oh?«
    Sie zuckte die Schultern. »Die übliche Reaktion, wenn ich etwas tue, was ihr nicht gefällt, der Verstand ihr aber sagt, dass es zu unserem Besten ist. Entschuldigungsarien, versetzt mit entrüstetem Selbstmitleid.« Sie zögerte, dann reichte sie ihm den Brief. »Es steht nichts Persönliches drin, und Sie werden ihn vermutlich amüsant finden.«
    Er überflog den Brief, die Augen ans Lesen bei Dunkelheit gewöhnt. Meine allerliebste Tochter... ich hätte dir keine so heftigen Vorhaltungen machen sollen... ich bin eine alte Frau, wie du ja weißt, und manchmal sind wir ein wenig töricht ... deine dich liebende Mama. Er schnaubte kurz, als er fertig war, doch als er den Blick hob und Victoria ansah, stellte er fest, dass sie den Briefbogen sanft, ja fast zärtlich anlächelte.
    »Sie haben sie wirklich sehr lieb, nicht wahr?«, sagte er mit einem Anflug von Eifersucht. Seine eigene Mutter war freundlich, aber distanziert; er hatte seit dem Begräbnis seines Großonkels nicht mehr mit ihr gesprochen. Und da hatte er ihr lediglich versichert, dass ihr Haus und ihr Einkommen ihr Leben lang unangetastet bleiben würden. An seinen Vater konnte er sich kaum noch erinnern.
    »Sie ist meine Mutter«, sagte Victoria einfach. Dann setzte sie mit spröder Beiläufigkeit hinzu: »Sie braucht mich nicht halb so sehr, wie sie es vorgibt. Aber ich glaube, das ist ihre Art, mich zu trösten und mir einen Lebenszweck zu geben, weil ich ja nicht geheiratet habe.«
    »Und warum nicht?«
    Sie sah ihn scharf an, doch er erwiderte ihren Blick gelassen und hielt seine wachsende Anspannung verborgen. Er war da: der Augenblick, wo sie alles gestehen oder zurückschrecken würde, endgültig vermutlich.
    »Gerade Sie sollten das wissen«, sagte sie.
    Byron saß auf der Steinbank, die ihr gegenüber in die Wand eingebaut war. Alles, was er im Augenblick wollte, war eine aufregende Auseinandersetzung, doch die Erwartung, die seine sämtlichen Muskeln spannte, hatte nichts Erregendes an sich. Es war eine eher mitfühlende Anspannung, als hätten die Kräfte, die Victoria so lange gefangen gehalten hatten, sich jetzt auch seiner bemächtigt, und der einzige Weg, ihre Macht zu brechen, war, ihren Ursprung zu erkennen.
    Er streckte die Hand aus und berührte ihre Wange. Ihre Augen waren rund und leuchtend und von einem Schmerz erfüllt, der ihn erschütterte.
    Victoria schloss die Augen und sank in seine Berührung – dankbar, sich fallen lassen zu können, wenn auch nur für einen Moment. Er streichelte mit dem Daumen ihre Wange. Die Zärtlichkeit hatte nichts von einer Verführung, doch sie fühlte ihren Körper reagieren und war ihm nur dieses eine Mal für sein ungehöriges Benehmen dankbar, für die Freiheiten, mit denen er ihren Widerstand überwand. Hätte dieser Augenblick nur nie geendet …
    »Wer war er?«, fragte er sanft. »Ich weiß, dass Sie es mir sagen wollen, ob Sie es sich nun eingestehen oder nicht. Sie haben dieses Thema zu offenkundig aufgeworfen, als dass ich etwas anderes annehmen könnte. Also sagen Sie mir, wer war der Erste?«
    Die Welt kehrte krachend zurück und riss Victoria aus ihrer gekünstelten Ruhe. Sie fuhr zurück, schlug die Augen auf und schaute in Raeburns unergründliches Gesicht.
    O Gott, er hatte Recht. Sie wollte es ihm erzählen – es endlich jemandem erzählen -, aber es war schwer, so schwer. Die alte verbitterte Vorsicht ließ sie wankelmütig werden und bemächtigte sich ihrer Worte, bevor sie es noch verhindern konnte. »Der Erste, Euer Gnaden? Wie zartfühlend Sie das ausdrücken. Wie viele Liebhaber, glauben Sie, habe ich wohl gehabt?«
    »Also dann, wer kam vor mir, Eure Ladyschaft?« Es hatte etwas Spöttisches an sich, wie er den Titel aussprach und sie wegen ihrer Förmlichkeit neckte.
    »Das spielt keine Rolle.« Nein, sie wollte es ihm nicht sagen, entschied sie abrupt. Vielleicht würde sie es irgendwann irgendjemandem erzählen, aber nicht diesem kalten Herzog, den sie kaum kannte.
    »Wenn es keine Rolle spielt, kann es Ihnen auch nichts ausmachen, es zu sagen.« Seine Stimme wurde tiefer und weicher, und sie entdeckte einen Anflug

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