Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)
seinen Vorfahren kaum einer für seinen Bildungshunger bekannt war. Anfangs hatten ihm Fane und ein Lakai bei der Suche geholfen, doch je länger sie erfolglos gesucht hatten, desto ungehaltener war er geworden, bis er schließlich entschieden hatte, die beiden wegzuschicken, bevor er seine Wut noch an ihnen ausließ.
Die Bibliothek war nicht einmal sonderlich groß, dachte er säuerlich und betrachtete die muffig riechenden Bücherreihen. Aber kaum ein Band trug eine Aufschrift auf dem Rücken, und wenn doch, war sie meist unleserlich. Umgeben von unbezahlbaren Inkunabeln, wünschte er sich nur noch, dass die Bücher, bis auf den einen Band, den er suchte, allesamt verschwanden.
Leise Geräusche hinter ihm unterbrachen ihn in seiner lautlosen Suche, und er schob Die Tempel der Flora mit weit mehr Wucht an ihren Platz zurück, als nötig gewesen wäre.
»Ich hatte gebeten, nicht gestört zu werden«, grollte er, ohne sich umzudrehen.
»Mich haben Sie ganz sicher nicht darum gebeten. Abgesehen davon konnte ich nicht wissen, dass Sie hier sind. Es ist ja nicht so, dass Sie mir je etwas erzählen würden.« Die schöne, amüsierte Stimme löschte seinen schwelenden Zorn so effektiv wie ein Eimer Eiswasser.
Er drehte sich um, lehnte sich an den Bücherschrank und sah zu der lächelnden schlanken Gestalt auf. »Guten Tag, Alekto. Kommen Sie, mich zu quälen? Ich fürchte, es braucht dazu keinen schweren Felsbrocken oder leberfressenden Adler. Ich bin dazu verdammt, nach einem nicht existierenden Buch zu suchen.«
Victoria zog eine fein geschwungene Augenbraue hoch und machte ein ernstes Gesicht. »Ich wollte mir ein Buch zum Lesen suchen, Euer Gnaden. Es gibt sonst nichts, das ich tun könnte, bis das Abendessen naht und ich einmal mehr mit Ihrer Gesellschaft gesegnet bin.« Sie beäugte sein Hemd. »Aber wie ich sehe, sind Sie noch nicht passend gekleidet, also sehe ich besser zu, dass ich mich in eine andere Ecke des Hauses verdrücke.« Sie zögerte. »Es sei denn, Sie brauchen Unterstützung.«
Byron schnaubte. »Ich hatte Unterstützung – und habe sie wieder weggeschickt.« Er legte die Ellenbogen auf die Knie, ließ die Arme baumeln und sah sie an. Ihre gereizte Stimmung schien einer Munterkeit gewichen zu sein, die vielleicht immer noch zum Sarkastischen neigte, aber sehr erfrischend war, nachdem er mehrere Stunden in Gesellschaft seiner mürrischen Dienstboten verbracht hatte. Und was noch wichtiger war, sie hatte die fest zugezogenen Vorhänge an sämtlichen Fenstern bis auf das eine kaum eines Blickes gewürdigt. Es gab keine unausgesprochenen Fragen zu umschiffen, die wie düstere Wolken über ihnen hingen. »Falls Sie mir wirklich behilflich sein wollen …«
»Ich hätte mich anderenfalls nicht angeboten«, erwiderte Victoria. »Ich fließe schwerlich vor Opferbereitschaft über.«
Byron stand grunzend auf und wischte sich die Hosenbeine ab, was den Staub in langen Striemen über den dunklen Stoff verteilte. Er starrte finster die Regale an. »Ich suche immer noch nach einem Geschäftsbuch aus dem siebzehnten Jahrhundert. Es müsste Quarto-Format haben, in braunes Leder gebunden sein und auf dem Frontispiz das Wappen der Raeburns tragen.«
Victoria verzog das Gesicht, während sie die Regale betrachtete. »Das dürfte kein Problem sein. Zu dieser Beschreibung passen höchstens ein Viertel der Bücher.«
»Exakt«, sagte Byron säuerlich.
»Also«, erwiderte sie schroff, »ich werde ganz bestimmt nicht auf dem Boden herumkriechen. Ich nehme die oberen Fächer und Sie die unteren.«
»Nur fair. In diesem Regal habe ich die oberen schon durchgesehen, also könnten Sie mit diesem hier anfangen.« Er deutete auf das Regal, und Victoria fing an, mit bewundernswerter Geschwindigkeit Bücher herauszuziehen.
Byron wandte sich wieder seinem eigenen Regal zu und war unerklärlicherweise besserer Stimmung. Schließlich konnte er kaum erwarten, dass sie ihn unterhielt, und Geheimnisse, mit denen sie ihn hätte necken können, hatte sie auch keine mehr übrig.
Er schüttelte den Kopf und zog das nächste in Frage kommende Buch heraus. Allein die Vorstellung, dass all ihre Komplexität und Widersprüchlichkeit im Tod eines Liebhabers begründet war! Es war so simpel und so derb, er hätte empört sein sollen, doch er war es nicht. Er war weit davon entfernt. Im Gegenteil, er war noch faszinierter als zuvor.
Und er hegte den Verdacht, dass Victoria ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Auch wenn er
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