Rebellin unter Feen
und betrachtete die glänzende Vorderseite des Backofens und das glatte, schimmernde Holz der Schranktüren. Wenn sie auf den Küchentresen hinaufkam, erreichte sie von dort vielleicht das Fenster über der Spüle. Es schien einen Spalt offen zu stehen, durch den sie leicht nach draußen schlüpfen konnte.
Sie hatte ihre Flügel seit ihrer Verwundung durch die Krähe nicht mehr benützt, aber jetzt blieb ihr nichts anderes übrig. Sie würde nicht geradeaus fliegen können und auch keine größere Strecke, aber immerhin …
Mit angehaltenem Atem bewegte sie die Flügel langsam nach hinten und wieder nach vorn. Der verletzte Vorderflügel fühltesich steif an, und von der über die zerrissene Oberfläche streichenden Luft wurde Klinge übel. Erschöpft hockte sie sich hin und versuchte es noch einmal. Sie wiederholte die Bewegung, bis die Übelkeit nachließ. Ihre Flügel schlugen immer schneller und zuletzt hob sie vom Boden ab.
Ganz allmählich stieg sie zum Tresen auf. Zwar schwankte sie wie betrunken, aber sie flog. Es funktionierte! Nur noch wenige Flügelschläge und sie war da.
Ihre ganze Aufmerksamkeit galt ihrem Ziel, deshalb sah und roch sie den Kater nicht, der sich aus dem Dunkel auf sie stürzte und sie mit einem Tatzenhieb zu Boden warf.
ACHT
Klinge robbte hastig über den Boden, bevor der Kater sie packen konnte. Doch war ihr vom Sturz noch schwindlig. Instinktiv griff sie nach ihrem Messer, aber sie hatte es ja verloren. Was sollte sie tun? Sie hatte keine Waffe zum Kämpfen und keine Flügel zum Wegfliegen.
Der Kater schlich um sie herum. Schatten wanderten über seinen langgestreckten Rumpf. Klinge duckte sich und täuschte einen Ausbruchsversuch nach rechts und dann nach links vor. Doch der Kater ließ sich nicht überlisten und schlug wieder mit der Pfote zu.
Klinge flog über die Fliesen und schürfte sich Arme und Beine an Krümeln auf, die auf dem Boden lagen.
Es war aussichtslos. Wieso hatte sie bislang nicht bemerkt, dass die Menschen eine Katze hatten?, dachte sie aufgebracht. Aber vielleicht war sie neu und gehörte …
»Paul!«
So laut sie konnte, schrie sie seinen Namen. Der Kater stürzte sich auf sie und warf sie zwischen seinen Samtpfoten hin und her. Klinge schrie erneut, und der Kater warf sie in die Luft und fing sie auf, diesmal mit dem Maul. Sein warmer, feuchter Atem strich über Klinges Haut. Er stank nach Fisch. Klinge würgte. Einer Ohnmacht nahe, rief sie Pauls Namen erstickt ein letztes Mal. Dann verließen sie ihre Kräfte.
»Vermeer!«, zischte eine Stimme hinter ihnen. Der Kater zuckte zusammen, erstarrte, ließ Klinge fallen und schlich weg.
Keuchend lag Klinge auf dem Boden und sah, wie die Zimmerdecke über ihr abwechselnd scharf und unscharf wurde. Ihr verletzter Flügel brannte wie in Säure getaucht, und sie konnte sich vor lauter Zittern nicht rühren. Doch ihr Retter fasste sie nicht an und sagte auch nichts.
Endlich beruhigte sich ihr Herz, und ihre Kraft kehrte zurück. Das Zimmer verschwamm noch einmal, kippte zur Seite und wurde wieder scharf. Sie blickte zur Decke hinauf und sah hoch über sich Pauls Gesicht.
»Du hast mir das Leben gerettet«, sagte sie matt.
»Stimmt«, sagte Paul. Er klang müde. Er beugte sich auf seinem silbernen Stuhl vor und hielt ihr die geöffnete Hand hin. Klinge stand unsicher auf, stolperte darauf zu und brach auf dem Handteller zusammen.
Sie merkte kaum noch, wie Paul sie auf den Tresen hob, und das Wasser, das plätschernd aus dem Hahn lief, hörte sie nur gedämpft und wie aus der Ferne. Erst als er ihre blutenden Hände betupfte, kam sie mit einem Ruck wieder zu sich.
»Entschuldigung«, sagte Paul, der ihre Reaktion missverstand. »Ist das Wasser zu heiß?«
»Nein«, antwortete Klinge. »Es ist nur … warm.« Staunend berührte sie den dampfenden Waschlappen. »Wie hast du das gemacht?«
»Zauberei«, sagte er. »Oder ein Heißwasserboiler, wie du willst. Hier.« Er gab ihr den Waschlappen, und Klinge wusch sich damit vorsichtig das Gesicht. Seife drang in die Kratzer ein, und sie zuckte zusammen.
Als sie sich gesäubert hatte, streckte Paul wieder die Handaus. Er roch verschwitzt, und sie betrat die Hand mit gerümpfter Nase. Sich auf dem Thron vorwärtszuschieben musste anstrengend sein – aber warum hatte Paul überhaupt Zeit vergeudet und sich darauf gesetzt, wo sie seine Hilfe doch so dringend brauchte? So stolz war er doch bestimmt nicht.
»Willst du nach oben oder nach unten?«,
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