Rebellin unter Feen
fragte Paul.
»Wie bitte?«
»Ich brauche die Hand, um den Stuhl zu lenken, du musst also entscheiden, wohin ich dich setzen soll. Es sei denn, du willst die restliche Nacht in der Küche verbringen.«
»Ach so.« Klinge sah von seinem Gesicht zu seinen Knien und wieder zurück. »Dann will ich … nach unten.«
Paul stellte sie auf den Rand des Sitzes und wartete, bis sie sich neben ihn gesetzt hatte. Dann setzte er seinen Thron mit geübten Handbewegungen in Bewegung und rollte lautlos um die Ecke und den Gang zu seinem Zimmer entlang. Im Zimmer vollführte er eine halbe Drehung und schloss leise die Tür. Dann rollte er neben das Bett. Klinge sprang darauf.
»Warum …«, begann sie, aber Paul fiel ihr ins Wort.
»Woher weißt du, wie ich heiße?«
Klinge tastete mit ihren nackten Füßen über das glatte Laken. »Na ja … ich habe gehört, wie deine Eltern über dich sprachen. Oder auch mit dir.«
»Du wohnst also in der Nähe. Im Garten? Im Wald? Oder …« Er brach ab und kniff die Augen zusammen. »Ich weiß! Du wohnst in der alten Eiche.«
Ihr Herz setzte einen Schlag aus, doch sie blieb äußerlich ruhig. »Wir leben an vielen verschiedenen Orten«, sagte sie. »Manchmal benutzen wir die Eiche als Beobachtungsposten, aber …«
»Für eine Fee lügst du schrecklich schlecht«, sagte Paul. »Wovor hast du Angst? Ich will die Eiche nicht abholzen.« SeineAugen bekamen einen abwesenden Ausdruck. »Ich glaubte damals vor vielen Jahren, als ich die Eiche hinaufkletterte, ich hätte mir dich nur eingebildet. Aber als ich dich mit deinen hellen Haaren und schwarzen Augen im Garten wiedersah, da wusste ich, dass ich nicht geträumt hatte.«
Klinge sank auf das Bett und legte den Kopf in die Hände. Die Katastrophe war eingetreten. Nach Jahrhunderten der Geheimhaltung war das Eichenvolk nicht mehr vor den Menschen sicher. Und sie war daran schuld. Hätte sie damals nur auf Winka gehört oder wenigstens später der Versuchung widerstanden, den Menschen nachzuspionieren. Dann wäre es nicht so weit gekommen.
»Und wie heißt du?«, fragte Paul. »Oder darf ich das auch nicht wissen?«
Ich wünschte, ich wüsste es selbst, dachte Klinge unglücklich. Ohne ihre Waffe oder ihre Flügel stand ihr nur der eine Name zu, den sie niemandem verraten durfte. Es sei denn, sie nannte sich wieder Bryony – aber nein. Nicht solange sie die Wahl hatte. »Ich heiße Klinge«, sagte sie.
Paul sah sie ungläubig an. »Klinge? Wie bei einem Messer?«
Sie nickte. Paul machte ein Geräusch, das wie eine Mischung aus Schnauben und Kichern klang. »Deine Mutter hatte offenbar Sinn für Humor.«
»Meine Eimutter hatte damit gar nichts zu tun!«, erwiderte Klinge empört. »Ich habe den Namen selber ausgesucht, weil …« Fast hätte sie sich verplappert.
»Wirklich?«, fragte Paul. »Warum ›Klinge‹?«
Für eine Fee lügst du schrecklich schlecht, hatte er gesagt. Doch sie konnte ihm die Wahrheit nicht sagen, denn dann hätte sie zugeben müssen, dass sie das Messer aus dem Haus gestohlen hatte, und wer weiß, was er dann mit ihr anstellte. Sie musste das Thema wechseln, und zwar schnell.
»Woher hast du diesen Thron?«, fragte sie hastig.
Totenstille trat ein, und Paul wurde kreideweiß im Gesicht. »Thron.« Er klang heiser. »Du hältst das für einen Thron?«
Klinge rutschte unbehaglich auf dem Bett hin und her. Sie war verlegen, ohne zu wissen warum. Doch dann fiel ihr Blick auf Pauls nackte Beine, die sich nicht bewegten und seltsam angewinkelt waren, und erschrocken begriff sie ihren Irrtum.
»Richtig«, sagte Paul grimmig, »ich bin ein Krüppel. Hast du wirklich geglaubt, meine Eltern schieben mich in diesem Ding herum, weil mir das Spaß macht?« Er lachte bitter. »Ich wollte, es wäre so!«
Klinge schluckte. Sie hatte mit ihrem Schicksal gehadert, aber Paul hatte noch viel mehr verloren. »Das tut mir …«, begann sie, aber Paul ließ sie nicht ausreden.
»Sag’s nicht.« Er stieß sich mit beiden Händen vom Bett ab und rollte zurück. »Ich will dein Mitleid nicht und kann auch keine Entschuldigungen mehr hören. Ich habe nur eine Frage: Kann ich mit dir ins Geschäft kommen?«
»Ins … Geschäft?«
»Du bist eine Fee. Da liegt das doch nahe, oder?«
Klinge schüttelte verständnislos den Kopf.
Paul seufzte ungeduldig und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Du kannst zaubern, und ich brauche deine Zauberkünste. Erfülle mir also einen Wunsch, und ich lasse dich frei.«
Klinge starrte
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