Rebus - 09 - Die Sünden der Väter
hineinging, stand Ellen Sharpe vor der Tür des Verhörraums.
»Also, was machen wir mit ihr?«, fragte sie.
»Hier behalten.«
»Sie meinen, sie verhaften?«
Rebus schüttelte den Kopf. »Nennen wir's Schutzhaft.«
»Weiß sie das?«
»Bei wem sollte sie sich beschweren? Es gibt in der ganzen Stadt nur einen, der überhaupt kapiert, was sie sagt, und den habe ich gerade nach Haus geschickt.«
»Was, wenn ihr Macker vorbeikommt und sie mitnehmen will?«
»Glauben Sie, er tut's?«
Sie überlegte kurz. »Wahrscheinlich nicht.«
»Nein, denn er braucht ja nur zu warten, früher oder später lassen wir sie ja sowieso laufen. Außerdem spricht sie kein Englisch, also, was könnte sie uns schon verraten? Und sie ist mit Sicherheit illegal ins Land gekommen, also wenn sie plaudern sollte, würden wir sie wahrscheinlich abschieben. Telford ist clever... das war mir nicht klar gewesen, aber das ist er. Eingeschleuste Ausländerinnen als Nutten einzusetzen. Geschickt.«
»Wie lang behalten wir sie hier?« Rebus zuckte die Achseln.
»Und was sage ich meinem Chef?«
»Alle Rückfragen sind an DI Rebus zu richten«, erwiderte er und wollte die Tür öffnen.
»Ich fand das übrigens sehr beeindruckend, Sir.« Er hielt inne. »Was?«
»Wie genau Sie die Preise für käuflichen Sex kennen.«
»Ich tu nur meinen Job«, sagte er lächelnd.
»Eine letzte Frage, Sir...?«
»Ja, Sharpe?«
»Wozu der Aufwand? Was ist an ihr so besonders?«
Rebus dachte nach, runzelte die Stirn. »Gute Frage«, sagte er schließlich, öffnete die Tür und trat ein.
Und wusste die Antwort. Wusste sie sofort. Sie sah wie Sammy aus. Man hätte ihr nur Make-up und Tränen abzuwischen, was Vernünftiges anzuziehen brauchen, und sie hätte für ihre Schwester durchgehen können. Und sie hatte Angst.
Und vielleicht konnte er ihr helfen.
»Wie kann ich Sie nennen, Candice? Wie ist Ihr wirklicher Name?« Sie ergriff seine Hand, legte ihre Wange daran. Er deutete auf sich.
»John«, sagte er.
»Don.«
»John.«
»Shaun.«
»John.« Er lächelte; sie ebenfalls. »John.«
»John.«
Er nickte. »Genau. Und Sie?« Er zeigte jetzt auf sie. »Wer sind Sie?«
Sie schwieg kurz. »Candice«, sagte sie, während in ihren Augen ein kleines Licht verlosch.
4
Rebus wusste nicht, wie Tommy Telford aussah, aber er wusste, wo er ihn finden konnte.
Die Flint Street war eine schmale Querstraße zwischen Clerk und Buccleuch Street, in der Nähe der Universität. Die Geschäfte hatten größtenteils dichtgemacht, aber die Spielhalle war immer sehr gut besucht, und von der Flint Street aus vermietete Telford Spielautomaten an Pubs und Klubs in der ganzen Stadt. Die Flint Street war das Zentrum seines östlichen Imperiums.
Die Konzession war bis vor kurzem im Besitz eines gewissen Davie Donaldson gewesen, aber er hatte sich plötzlich aus »gesundheitlichen Gründen« aus dem Geschäftsleben zurückgezogen. Möglicherweise hatte er damit das Richtige getan; denn wenn Tommy Telford von einem etwas wollte und man gab es ihm nicht, konnte das recht rasch zu einer nicht unerheblichen Verschlechterung des eigenen Gesundheitszustands führen.
Donaldson hielt sich jetzt irgendwo versteckt - nicht vor Telford, sondern vor Big Ger Cafferty, für den er die Konzession »treuhänderisch verwaltet« hatte, solange der seine Haftstrafe in Barlinnie absaß. Manche glaubten, Cafferty regiere Edinburgh vom Knast aus ebenso erfolgreich, wie er es draußen getan hatte, aber die Unterwelt litt unter dem gleichen Horror Vacui wie die Natur, und jetzt war Tommy Telford in die Stadt eingezogen. Telford war ein Produkt von Ferguslie Park, der übelsten Betonsiedlung in Paisley. Mit elf hatte er sich der örtlichen Gang angeschlossen; ein Jahr später wurde er wegen eines verstärkten Aufkommens aufgeschlitzter Autoreifen von zwei Polizisten aufgesucht. Er war von anderen Bandenmitgliedern umringt gewesen, fast alle älter als er, aber eindeutig seine Gefolgsmänner.
Seine Gang war mit ihm gewachsen, hatte sich einen ansehnlichen Brocken von Paisley gesichert:
Drogenhandel, Prostitution, ein bisschen Schutzgelderpressung. Mittlerweile war er an Kasinos und Videoshops, Restaurants und einer Speditionsfirma beteiligt und besaß außerdem ein Immobilien-Portfolio, das ihn zum Herrn über mehrere hundert Mieter machte. Er hatte versucht, sich im nahe gelegenen Glasgow zu etablieren, dabei aber festgestellt, dass die Stadt bereits in festen Händen war. Also hatte er sich
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