Rebus - 09 - Die Sünden der Väter
mit meiner Frau, mit meinen Kindern. Ich hatte Geldprobleme und Gesundheitsprobleme und was weiß ich nicht alles. Praktisch das Einzige, womit ich keine Probleme hatte, war das Saufen. Und das lag daran, dass ich ständig besoffen war.«
Rebus steckte sich eine Zigarette an und fuhr nach Haus.
Er setzte sich in seinen Sessel und dachte über Rhona nach. Sie hatten über Jahre so viel gemeinsam erlebt... und dann war alles mit einem Mal zu Ende. Er hatte sich entschieden, seinen Beruf über seine Ehe zu stellen, und das konnte sie ihm nicht verzeihen. Zuletzt hatte er sie in London gesehen, ihr neues Leben wie eine Rüstung tragend. Niemand hatte ihn wegen Jackie Platt vorgewarnt. Das Telefon klingelte.
»Rebus.«
»Ich bin's, Bill.« Pryde klang geradezu aufgeregt, was bei ihm das höchste der Gefühle war.
»Was haben Sie rausgefunden?«
»Dunkelgrüner Rover 600 - ich glaube, der Halter sprach von ›Sherwood-Grün‹ -, gestern Abend, ungefähr eine Stunde vor der Kollision, gestohlen.«
»Wo?«
»Parkuhr auf der George Street.«
»Was meinen Sie?«
»Mein Rat wäre: für alle Möglichkeiten offen bleiben. Dies vorausgeschickt, haben wir jetzt wenigstens ein Kennzeichen. Der Halter hat den Diebstahl letzten Abend achtzehn Uhr vierzig angezeigt. Das Fahrzeug ist bislang noch nirgendwo aufgetaucht, also habe ich die Alarmbereitschaft erhöht.«
»Geben Sie mir das Kennzeichen durch.« Pryde las ihm die Buchstaben und Zahlen vor. Rebus bedankte sich und legte auf. Er dachte an Danny Simpson, den man etwa um die Zeit, als Sammy angefahren worden war, vor der Fascination Street abgesetzt hatte. Zufall? Oder eine doppelte Botschaft, an Telford und Rebus. Was den Verdacht auf Big Ger Cafferty lenkte. Er rief im Krankenhaus an, erfuhr, dass der Zustand unverändert sei. Farlowe war im Krankenzimmer. Die Schwester sagte, er habe seinen Laptop dabei.
Rebus erinnerte sich an die heranwachsende Sammy -eine Abfolge unverbundener Einzelbilder. Er war nicht für sie da gewesen. Er versuchte, nicht an die Hölle zu denken, die sie in den Händen Gordon Reeves durchgemacht hatte...
Er sah gute Menschen, die böse Dinge, und böse Menschen, die Gutes taten, und versuchte, die beiden in Gruppen zu ordnen. Er sah Candice, Tommy Telford und Mr. Pink Eyes. Und der Rahmen für alles: Edinburgh. Er sah die Masse von Menschen, die mühselig ihr Leben fristeten, und zollte ihnen Respekt. Sie wussten Dinge, und sie empfanden Dinge, die er niemals empfinden würde. Früher hatte er geglaubt, sehr viel zu wissen. Als Junge hatte er alles gewusst. Jetzt wusste er es besser. Das Einzige, dessen man sich sicher sein konnte, waren die eigenen Gedanken, und selbst die konnten einen täuschen. Ich kenne mich nicht einmal selbst, dachte er. Wie konnte er also hoffen, Sammy jemals wirklich zu kennen? Und mit jedem Jahr verstand er weniger.
Er dachte an die Oxford Bar. Selbst als Abstinenzler war er Stammgast geblieben, trank eben Cola und becherweise Kaffee. Ein Pub wie der Ox war sehr viel mehr als eine bloße Alk-Abfüllstelle. Er bot Therapie und Zuflucht, Unterhaltung und Kunst. Er schaute auf die Uhr, spielte mit dem Gedanken, sich jetzt auf den Weg zu machen. Nur ein paar Whiskys und ein Bier, gerade genug, um sich bis zum nächsten Morgen selbst ausstehen zu können. Das Telefon klingelte erneut. Er nahm ab.
»'n Abend, John.«
Rebus lächelte, lehnte sich zurück. »Jack, du musst ein gottverdammter Gedankenleser sein...«
14
Am nächsten Vormittag ging Rebus über den Friedhof. Er war im Krankenhaus gewesen, um nach Sammy zu sehen -Zustand unverändert. Jetzt hatte er das Gefühl, etwas Zeit zu haben, Zeit zum Totschlagen...
»Ein bisschen frischer heute, Inspector.« Joseph Lintz richtete sich von seiner knienden Stellung auf und schob sich die Brille ganz auf die Nase. Seine Hose war an den Knien feucht. Er ließ sein Schäufelchen auf eine weiße Plastiktüte fallen. Neben der Tüte standen mehrere Töpfe mit kleinen Grünpflanzen.
»Wird der Frost die nicht umbringen?«, fragte Rebus. Lintz zuckte die Achseln.
»Er bringt uns alle um; aber vorher dürfen wir noch ein Weilchen blühen.«
Rebus wandte sich ab. Heute war er nicht in der Stimmung für Spielchen. Der Warriston-Friedhof, ein sehr großer Friedhof, war für Rebus früher ein Geschichtsbuch gewesen, das mit seinen Grabsteinen vom Edinburgh des neunzehnten Jahrhunderts erzählte. Doch jetzt empfand er ihn als eine unerquickliche Erinnerung an die
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