Rebus - 09 - Die Sünden der Väter
keiner gesagt?
»Hallo, Rhona.«
»Hallo, John.«
Sie sah müde aus, aber ihr Haar war modisch geschnitten und gefärbt: das matte Gold eines reifen Kornfeldes.
Ihre Kleidung war elegant, und sie trug Schmuck. Er betrachtete ihre Augen. Die Farbe stimmte nicht. Farbige Kontaktlinsen. Nicht einmal ihre Augen wollten ihre Vergangenheit preisgeben.
»Gott, Rhona, es tut mir entsetzlich Leid.«
Er flüsterte, um Sammy nicht zu stören. Was lächerlich war, da er sich im Augenblick nichts sehnlicher wünschte, als dass sie aufwachte.
»Wie geht's ihr?«, fragte er.
»Praktisch unverändert.«
Mickey erhob sich. Drei Stühle standen in einer Art Halbkreis. Mickey und Rhona hatten mit einem leeren Stuhl zwischen sich gesessen. Als Rhona sich aus Rebus' Umarmung löste, nahm sein Bruder ihren Platz ein.
»Es ist alles so schrecklich«, sagte Mickey mit leiser Stimme. Er sah so aus wie immer: ein Partylöwe, der keine Einladungen mehr bekam.
Nachdem die Begrüßung vorüber war, trat Rebus an Sammys Bett. Ihr Gesicht war noch immer zerschrammt und voller Blutergüsse, und jetzt konnte er die wahrscheinliche Ursache jeder einzelnen Abschürfung benennen: Hecke, Mauer, Bürgersteig. Ein Bein war gebrochen, beide Arme dick bandagiert. Neben ihrem Kopf lag ein Teddybär mit einem fehlenden Ohr. Rebus lächelte.
»Du hast Pa Broon mitgebracht.«
»Ja.«
»Wissen die schon, ob sie irgendwelche...?«Während er sprach, war sein Blick auf Sammy gerichtet.
»Was?« Rhona wollte, dass er es aussprach. Keine Chance, sich zu verstecken.
»...Hirnschäden davongetragen hat?«, fragte er.
»Kein Mensch hat uns irgendwas gesagt«, antwortete sie in einem beleidigten Ton.
Direkt auf sie zugehalten. Hatte das sonst keiner gesagt? Nein, keiner der anderen Augenzeugen hatte etwas Ähnliches auch nur angedeutet. Doch sie hatten auch nicht Rentons Logenplatz gehabt.
»Ist denn niemand hier gewesen?«
»Nicht, seit ich den Raum betreten habe.«
»Und ich war schon vor Rhona da«, fügte Mickey hinzu. »Keine Menschenseele gesehen.«
Das reichte. Rebus stürmte aus dem Zimmer. Am Ende des Korridors standen ein Arzt und zwei Schwestern herum und plauderten. Eine der Schwestern lehnte mit dem Rücken an der Wand.
»Was ist hier eigentlich los?«, explodierte Rebus. »Den ganzen Morgen ist keine Menschenseele auch nur in Sichtweite meiner Tochter gewesen!«
Der Arzt war jung. Blonde kurze Haare, gescheitelt.
»Wir tun alles, was in unserer Macht steht.«
»Was soll das heißen?«
»Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass Sie -«
»Leck mich, Freundchen! Warum ist der Chef nicht gekommen, um sie sich anzusehen? Warum liegt sie da bloß rum wie eine -«
»Ihre Tochter ist heute Morgen von zwei Spezialisten untersucht worden«, erklärte der Arzt ruhig. »Wir müssen einige Testergebnisse abwarten, bevor wir entscheiden, ob eine weitere OP nötig ist. Wir haben eine Hirnschwellung festgestellt. Die Tests brauchen nun mal eine gewisse Zeit, wir können nichts daran ändern.«
Rebus fühlte sich betrogen; noch immer wütend, aber niemand da, auf den er hätte wütend sein können - nicht hier. Er nickte, wandte sich ab.
Wieder im Zimmer, erklärte er Rhona die Situation. Neben einem der Apparate standen ein Koffer und eine große Reisetasche.
»Hör mal«, sagte er zu ihr, »am sinnvollsten wäre es, wenn du dich in der Wohnung einquartieren würdest. Ist nur zehn Minuten von hier, und du könntest das Auto haben.«
Sie schüttelte den Kopf. »Wir haben Zimmer im Sheraton gebucht.«
»Die Wohnung liegt näher, und ich verlange in der Regel keine Miete...« Wir? Rebus sah zu Mickey, aber dessen Augen waren auf das Bett gerichtet. Dann ging die Tür auf, und ein Mann trat ein. Klein, vierschrötig, kurzatmig. Er rieb sich die Hände, damit auch ja jeder wüsste, dass er auf dem Klo gewesen war. Schlaffe Hautfalten zogen sich quer über seine Stirn, und weitere quollen ihm aus dem Hemdkragen. Sein Haar war dicht und schwarz, wie ein Ölteppich. Als er Rebus erblickte, blieb er stehen.
»John«, sagte Rhona, »das ist ein Freund von mir, Jackie.«
»Jackie Platt«, stellte sich der Mann vor und streckte eine fleischige Hand aus.
»Als Jackie von der Sache hörte, bestand er darauf, mich herzufahren.«
Platt zuckte die Achseln, so dass sein Kopf fast zwischen den Schultern verschwand. »Konnte sie ja schlecht mutterseelenallein hier hochrattern lassen.«
»Verdammt üble Fahrt«, warf Mickey in einem Ton ein, als habe
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