Rebus - 09 - Die Sünden der Väter
Sterblichkeit. Er und der alte Mann waren die einzigen Lebenden weit und breit. Lintz hatte ein Taschentuch hervorgezogen.
»Noch Fragen?«, erkundigte er sich.
»Nicht direkt.«
»Was dann?«
»Um ehrlich zu sein, Mr. Lintz, habe ich momentan andere Sorgen.«
Der alte Mann sah ihn an. »Könnte es sein, dass diese ganze archäologische Buddelei allmählich anfängt, Sie zu langweilen, Inspector?«
»Ich begreif's immer noch nicht - Pflanzen vor dem ersten Frost zu setzen...«
»Na ja, danach kann ich ja kaum noch viel pflanzen, oder? Und in meinem Alter... jeder Tag könnte der letzte sein, den ich über der Erde verbringe. Mir gefällt die Vorstellung, dass über mir ein paar Blumen fortdauern könnten.« Er lebte seit fast einem halben Jahrhundert in Schottland, aber noch immer verbarg sich etwas Fremdes unter dem regionalen Akzent, eigentümliche Formulierungen und Intonationen, die Joseph Lintz bis zu seinem Tod beibehalten würde, Erinnerungen an seine frühere Geschichte.
»Also«, sagte er jetzt, »keine Fragen heute?« Rebus schüttelte den Kopf. »Sie scheinen wirklich etwas auf dem Herzen zu haben, Inspector. Ist es etwas, bei dem ich Ihnen helfen könnte?«
»Wie?«
»Ich weiß es auch nicht. Aber Sie sind hergekommen, obwohl Sie keine Fragen hatten. Ich gehe davon aus, dass es einen Grund dafür gibt.«
Ein Hund trottete durch das hohe Gras, die Nase dicht über dem Boden. Es war ein gelber Labrador, kurzhaarig und fett.
»Ich fragte mich lediglich«, sagte Rebus, »wozu Sie wohl fähig wären.« Lintz sah ihn verdutzt an. Der Hund fing an, den Boden aufzuscharren. Lintz hob einen Stein auf und schleuderte ihn auf den Hund, traf ihn aber nicht. Der Besitzer des Labradors bog gerade um die Ecke. Er war jung und spindeldürr und hatte kurz geschorenes Haar.
»Das Vieh sollte an der Leine sein!«, brüllte Lintz.
»Ja, mein Führeria , keifte der Hundebesitzer zurück und knallte die Hacken zusammen. Er lachte, als er an ihnen vorüberging.
»Ich bin jetzt eine Berühmtheit«, sagte Lintz nachdenklich, nach seinem kurzen Ausbruch wieder gefasst. »Das habe ich den Zeitungen zu verdanken.« Er sah in den Himmel, blinzelte. »Die Leute übermitteln mir ihren Hass durch die königliche Post. Vorgestern Nacht parkte ein Auto vor meinem Haus... dem wurde die Frontscheibe mit einem Backstein eingeschlagen. Es war nicht mein Auto, aber das konnten die Leute nicht wissen. Jetzt halten meine Nachbarn beim Parken gebührenden Abstand - vorsichtshalber...«
Er sprach wie der alte Mann, der er war, ein bisschen müde, ein bisschen mitgenommen.
»Das ist das schlimmste Jahr meines Lebens.« Er blickte hinunter auf die Rabatte, an der er gerade gearbeitet hatte. Das frisch umgepflügte Erdreich sah wie zerkrümelter Schokoladenkuchen aus. Ein paar aufgescheuchte Regenwürmer und Asseln suchten das Weite. »Und es wird noch schlimmer werden, stimmt's?«
Rebus zuckte die Achseln. Die Feuchtigkeit drang ihm durch die Schuhsohlen, er hatte kalte Füße. Er stand auf dem ungepflasterten Weg, Lintz auf dem fünfzehn Zentimeter höher liegenden Rasen. Und selbst so musste Lintz noch zu ihm aufschaun. Ein kleines altes Männchen. Und Rebus konnte ihn studieren, mit ihm reden, ihn zu Hause aufsuchen und sich die wenigen Fotografien ansehen, die -nach Lintz' Aussage - aus seinen Jugendtagen noch erhalten waren.
»Was hatten Sie vorhin gemeint?«, fragte er. »Wozu ich fähig wäre... irgendwie darum ging es doch?« Rebus starrte ihn an. »Ist schon in Ordnung, der Hund hat es mir gerade gezeigt.«
»Ihnen was gezeigt?«
»Wie Sie mit dem Feind umgehen.«
Lintz lächelte. »Ich mag Hunde nicht, das ist wahr. Lesen Sie da nicht zu viel hinein, Inspector. Das ist Sache der Journalisten.«
»Ohne Hunde wäre Ihr Leben leichter, stimmt's?« Lintz zuckte die Achseln. »Natürlich.«
»Und ohne mich auch?«
Lintz runzelte die Stirn. »Wenn's nicht Sie wären, wäre es ein anderer, ein Flegel wie Ihr Inspector Abernethy.«
»Was glauben Sie, was er Ihnen zu verstehen geben wollte?«
Lintz blinzelte. »Ich bin mir nicht sicher. Da war noch jemand anders, der sich mit mir unterhalten wollte. Ein Mann namens Levy. Ich habe mich geweigert, mit ihm zu reden - ein Privileg, das ich zumindest noch genieße.« Rebus scharrte mit den Füßen, versuchte, sie etwas aufzuwärmen. »Ich habe eine Tochter. Habe ich Ihnen das schon mal gesagt?«
Lintz sah ihn verblüfft an. »Kann sein, dass Sie es erwähnt haben.«
»Sie
Weitere Kostenlose Bücher