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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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geraucht, er hat von seinem Studium erzählt, Architektur.
    Du hast gar nichts erzählt. Nicht von dem Sitzplatz in der Berufsschule, der immer leer blieb. Nicht von dem Briefkasten, aus dem Prospekte ragten, an dem ein Zettel hing, der Empfänger möge bitte vier , die Zahl doppelt unterstrichen, amtliche Einschreiben abholen.
    Am Anfang hat es ihn nicht gestört, dass du nicht mehr nach Hause gegangen bist. Hast sowieso aufgehört rauszugehen. Wolltest von niemandem angesehen werden. Wolltest nicht, dass er es merkt, hast tagsüber abgewaschen, gesaugt, gewischt, damit er nicht wegen des Einkaufs argumentieren konnte.
    Deine Eltern haben nach dem Reichstag gefragt, das hatten sie im Fernsehen gesehen, »Jeanne-Claude und Christo«, sagte dein Vater beflissen. Hattest es auch im Fernsehen gesehen, hast also erzählt. Ihr habt Bier getrunken, aus Flaschen, die habt ihr mitgebracht und wolltet noch mal hin, morgens, wenn die Sonne aufgeht, dann sei es am schönsten. Tagsüber sei es voll, dein Vater war zufrieden. Hast gesagt, du kommst, wenn du weniger zu tun hast, und aufgelegt.
    Die Schuhe anders hinzustellen hat nicht gereicht. Musstest die Bänder auf- und zuknoten, die Sohlen unter die Dusche halten, wenn es regnete, unregelmäßig musste der feuchte Rand sein. Hast einmal ein gelbes Blatt von der Balkonbrüstung gesammelt, es hat an der Handfläche geklebt, kalt und gleichmäßig feucht, später auf der Schuhspitze, seitlich und schon halb abgestreift.
    Die Lippen wurden immer trockener, rau, wenn du mit der Zunge drüberstrichst, von weißen Hautfetzen bedeckt, die Mundwinkel eingerissen, Vitamin-D-Mangel. Bist eine Zeit lang, bis es richtig kalt wurde, mittags auf den Balkon gegangen, hast die Eieruhr auf zehn Minuten gestellt, das reicht an Licht. Schwarz vor Augen wurde dir immer öfter, beim Aufstehen, zu wenig Bewegung. Bist auf der Stelle gelaufen, hast Hampelmann gemacht, bis sich der Nachbar beschwerte. Weißt nichts von Herumspringen, hast du zu ihm gesagt, warst in der Schule.
    ***
    Die Klingel funktionierte nicht, Ebba klopfte, sah auf die Uhr, nach vier, normalerweise ging er mit der ersten Schicht mit, die musste zurück sein.
    Er war heller als die anderen, the Egypt, den Ägypter, nannten sie ihn. »Mit mir redest du«, hatte er gesagt, die anderen solle sie in Ruhe lassen. »Meine Boys« nannte er die anderen. Monatelang hatte Ebba zugesehen, wie er und die Boys im Park kleine viereckige Plastiktütchen aus dem Laub scharrten. Geldscheine in Astlöcher steckten, gebeugt durchs Gebüsch rannten. Hatte zugesehen, wie sie den Nachschub begrüßten, Frauen brachten ihn in Kinderwagen. Auf der Stelle hüpften, wenn es kalt war, manche machten Klimmzüge an niedrig hängenden Ästen. Sie verkauften immer in Gruppen, die einzelnen Mitglieder wechselten, aber die Gruppen hatten feste Plätze, Späher, die auf Fahrrädern die Wege abfuhren und warnten, wenn die Polizei kam. Ebba hatte bei einer anderen Gruppe gekauft, nur wenn die nicht da war, bei den Männern des Ägypters. Sie saßen auf einem großen, umgestürzten Baumstamm, im Gebüsch gleich beim Eingang rechts.
    Als sie einen von ihnen im Hausflur wiedertraf, hatte sie an Zufall geglaubt. Er war stehen geblieben, hatte zugesehen, wie Ebba ihren Briefkasten leerte, die Werbeprospekte in den Mülleimer warf. »I like«, hatte er gesagt und mit den Händen die Form einer dickbauchigen Vase in der Luft gezeichnet. »No, you just like«, sie hatte Daumen und Zeigefinger aneinandergerieben, »money«, und war zur Treppe gegangen. »Fuck you«, er stand noch immer bei den Briefkästen, »Hure«, seine Zunge kämpfte mit dem R, es klang wie Hooray.
    Irgendwann hatte Ebba verstanden, dass die Männer in die Erdgeschosswohnung gingen, Schmidtke stand auf dem Klingelschild. Nach einer Weile hatten sie begonnen, einander zu grüßen.
    Sie war im Park nie kontrolliert worden, zu deutsch, zu durchschnittlich, nicht hübsch, nicht arm, nicht schlank, nach Vereinsmitgliedschaft, nach solider Fleißarbeit sah sie aus, durchschnittliche Schulnote zwei minus. Im letzten Winter war Razzia gewesen, der Schnee geschmolzen und wieder gefroren, große schwarze Eisflächen überzogen die Parkwege, auf denen der Wind Pulverschnee in Linien vor sich herschob. Ebba hatte die Arme abgespreizt, war langsam gegangen, drei Mannschaftswagen, grün-weiß und gut sichtbar durch die kahlen Hecken, die unbelaubten Äste der Bäume, hatten an jedem Parkeingang gestanden. In den

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